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Wednesday, 3.07.2024
eGovernment Forschung seit 2001 | eGovernment Research since 2001
Nach wie vor ist das Thema E-Government in Deutschland sehr vom Einsatz einzelner IT-Anwendungen und großer Naivität über deren Wirkungsverständnis bestimmt. Der neuerliche Hype um das so genannte Web 2.0 ist ein aktuelles Beispiel hierfür. Jedoch: nur weil IT- bzw. Web-Anwendungen weltweit propagiert werden, die vielfach technologisch noch nicht einmal neu sind, wird sich die Verwaltung nicht modernisieren.

Außerdem verengen die technikgetriebenen Ansätze den Blick für das eigentliche Verwaltungsgeschäft. Es wird von der Lösung her gedacht, um dann hoffentlich das dafür erforderliche Problem in der Verwaltung zu finden. Dass vielleicht ganz andere Probleme wichtiger oder dringlicher zu bearbeiten sind, gerät dabei völlig aus dem Blick.

Auch dürfte das gegenwärtige “Web 2.0-Geschrei” – wenn überhaupt – eher zu einer “oberflächlichen Modernisierung”, also einer Modernisierung von außen, der Verwaltung führen. Innen kann der „alte Stiefel“ weiterlaufen und Transformation bleibt aus. Oder anders formuliert: “Government 2.0″ ist ein neuer Hausanstrich obwohl ein Umbau erforderlich wäre.

Transformation erfordert jedoch vorrangig eine Änderung von Organisationsstrukturen, die Anpassung oder Neugestaltung von Geschäftsprozessen, neue Formen der Arbeitsteilung etc. Nicht, dass die unter dem Marketingbegriff “Web 2.0″ zusammengefassten Anwendungen völlig irrelevant für die Verwaltung wären oder kein Modernisierungspotenzial bereithielten, es wird nur vielfach überschätzt und allein in der Existenz von Lösungen gesehen. Die Ernüchterung folgt.

Häufig unterbleibt die Mühe, sich vertieft mit der Arbeit von Verwaltung auseinanderzusetzen und Modernisierungspotenziale von den Problemen her kommend zu erschließen. Das ist zwar aufwändig, jedoch ist nur diese Arbeit erkenntnisreich. Gerade Wissenschaftler haben die Aufgabe, kritisch-konstruktive Analysen, auch empirisch fundiert, abzugeben anstatt unbedarft weitere Hypes zu füttern.

Gefragt ist ein aufgeklärtes und unaufgeregtes Technik- und Anwendungsverständnis, das aufzeigt, was in der Verwaltungspraxis unter welchen Bedingungen warum funktioniert und was nicht. Damit sind keine naiven “Best-Practice-Beschreibungen” gemeint, sondern mit Kontextinformationen angereicherte und reflektive “Wie-Analysen”, mit denen die Fallstricke der Umsetzung in die Verwaltungsrealität mit ihren kulturellen Besonderheiten nachgezeichnet werden können. Diese empirischen Fallstudien bieten hohes Lernpotenzial; verstehendes Lernen zur Unterstützung der Umsetzung ist möglich.

Denn was nützen abstrakte Technikpotenziale, wenn sie nicht in der Verwaltungsrealität umzusetzen oder auf die dazugehörigen Probleme treffen.

Es ist zweifelsohne attraktiver, globale rhetorische Fragen zu stellen, z.B. ob sich die Prinzipien des bürokratischen Verwaltungsaufbaus im Sinne von Max Weber überlebt haben, als sich der Mühe detaillierter Forschung und Analyse zu unterziehen.

Gefragt ist gründliche Forschung, die aufzeigt, wie (trotzdem) die gegenwärtige Verwaltungspraxis mit E-Government verändert werden kann. Dass solch eine unaufgeregte, weil empirisch fundierte, Forschung notwendig ist, zeigen nahezu alle E-Government-Großbaustellen der letzten Jahre, wie z.B. der Einheitliche Ansprechpartner der EG-DLR. Noch vor kurzer Zeit wurde von einigen Promotoren des Einheitlichen Ansprechpartners ernsthaft die Verwaltungsrevolution für Deutschland ausgerufen, die nun unmittelbar bevorstehe. Nur wenig später wurde dann von den gleichen Promotoren die Verwunderung geäußert, dass diese nun doch nicht eingetreten sei. Dann wird ex post eine Schelte der Verwaltung betrieben, die mehr oder weniger unwillig oder unfähig sei, die Modernisierungspotenziale zu heben, obwohl doch die gesetzlichen Grundlagen vorlagen. Eine solche Perspektive ist nicht nur naiv, sondern verzichtbar, weil sie letztlich falsch ist und komplexe Veränderungsprozesse sowie administrative Rationalitäten ignoriert. Zudem zeigt sie, dass weder die „Funktionsweise von Max Weber“ noch die reale Verwaltung verstanden wurde.

Eine empirisch fundierte und unaufgeregte E-Government-Forschung, die sich verstärkt mit der Frage der Implementation auseinandersetzt, ist in Anbetracht der in den letzten Jahren aufgebrachten und nicht selten versenkten Millionen bei E-Government-Projekten dringend notwendig. Eine solche Forschung kann dazu beitragen, dass die Implementation in der Praxis zukünftig besser gelingt ohne Heilsversprechen abzugeben. Sie zeigt auf, wo die Probleme beim Management von E-Government zwischen den verschiedenen Ebenen und Beteiligten liegen und wo Erfolgsbedingungen zu finden sind.

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Autor(en)/Author(s): Prof. Dr. Tino Schuppan

Quelle/Source: government2020, 10.08.2010

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