Nach Ansicht der Open Rights Group, die sonst alles unterstützt, was das Web zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Wählern und Gewählten beitragen kann, gehört das e-Voting angesichts der Risiken des automatisierten Wahlbetrugs nicht in diese Kategorie. "Das Thema kommt überall hoch", meint Kitcat, "wir müssen uns besser koordinieren". So hat die britische Regierung nach ersten und wenig erfolgreichen Anläufen vor vier Jahren zu den Kommunalwahlen im Mai 2007 erneut zwölf Pilotversuche zur elektronischen Stimmerfassung und -zählung gestartet. "Bis vor kurzem dachten wir, die Sache wäre gestorben", stöhnte Louise Ferguson von der Open Rights Group auf der Londoner Veranstaltung, "jetzt geht das wieder los".
Margaret McGaley vom Department of Computer Science der National University of Ireland, Maynooth (NUIM) und Sprecherin der Gruppe Irish Citizens for Trustworthy E-Voting ICTE berichtete von dem erfolgreichen Kampf gegen die Einführung der Nedap-Wahlgeräte in Irland, welche die Regierung zur Europawahl 2004 ohne öffentliche Diskussion für 51 Millionen Euro angeschafft hatte. Die Aktivisten der ICTE und ihre Sympathisanten hatten die Diskussion nachträglich erzwungen; gewählt wurde dann tatsächlich auf Papierstimmzetteln. Ein von der Regierung in Auftrag gegebenes Gutachten hielt die Nedap-Geräte zwar grundsätzlich für geeignet, kam bei einem Vergleich zur herkömmlichen Papierwahl jedoch zu dem Schluss, dass sie "kein sinnvolles Audit" erlauben, weshalb "das Papiersystem in dieser Hinsicht überlegen" sei. "Die Regierung spricht jetzt von einem Einsatz der Geräte im Jahr 2009", erklärte McGaley, sie selbst indessen sei sich "ziemlich sicher, dass das System nie verwendet wird".
In Belgien geben an einem 1994 eingeführten, PC-basierten e-Voting-System rund 44 Prozent der Wähler ihre Stimme ab. Dabei bilden Magnetstreifenkarten den klassischen Stimmzettel nach, mit dem der Wähler am Bildschirm seine Auswahl trifft und die Karte anschließend in ein Lesegerät gibt, das das Votum elektronisch übernimmt und als Urne die Streifenkarten für eventuelle Nachzählungen einbehält. Das Verfahren sei nicht sehr zuverlässig und bei jeder Wahl gäbe es Fehler bis hin zu logisch unhaltbaren Resultaten, berichtete Kommer Kleijn von der belgischen Initiative PourEVA. "Die ganze Sicherheit dieses Systems beruht auf Floppy Disks und Hardware von 1990". Angesichts der bevorstehenden Ersatzbeschaffung für die noch mit DOS 6.22 arbeitenden sechs bis sieben PCs pro Wahllokal hofft der Aktivist auch auf grundsätzliche Diskussionen über Sinn und Zweck von Wahlcomputern. Es sei immer behauptet worden, die computerisierte Stimmerfassung sei billiger - "sie ist es nicht", erklärte der Belgier. Parlamentarische Anfragen hätte inzwischen zutage gefördert, dass sich die Kosten gegenüber der Papierwahl tatsächlich von 1,50 Euro auf 4,50 Euro pro Wählerstimmer verdreifacht haben.
Rebecca Mercuri, eine engagierte Vorkämpferin des Voter Verified Paper Audit Trail in den USA, kritisierte den von dem demokratischen Senator Rush Holt Anfang dieser Woche vorgelegten Gesetzentwurf, der die Beibehaltung von Papierstimmzetteln für Audits der elektronischen Zählung bei Wahlen auf Bundesebene vorschreiben will. "Das ist ein sehr schlechter Entwurf", so die Aktivistin, denn bei Diskrepanzen soll die manuelle Zählung nicht den Ausschlag geben. "Wozu brauchen wir sie dann überhaupt?", fragte Mercuri und beklagte die "Art von Verrücktheit, die auf diesem Gebiet herrscht", seitdem der US-Kongress mit dem Help America Vote Act 3,8 Milliarden Dollar zur Modernisierung der Stimmabgabe bereitgestellt hatte.
Aus der Bundesrepublik erläuterte Ulrich Wiesner, dessen Wahleinspruch gegen die Verwendung der Nedap-Geräte bei der letzten Bundestagswahl trotz seiner Ablehnung Politiker wie Juristen gleichermaßen verunsichert, das Problem der Verifizierbarkeit am Beispiel des Hamburger Wahlstifts. Bei diesem System ist der Kugelschreiber, mit dem der Wähler seinen Stimmzettel ausfüllt, gleichzeitig ein Scanner und erzeugt automatisch einen Paper Trail. IBM Deutschland plant dem Vernehmen nach, ein solches System als mobile Dienstleistung zu vermarkten. Hamburg will, zumindest bei der ersten Wahl mit dem Stift Anfang kommenden Jahres, die manuelle Überprüfung in einer statistisch repräsentativ ausgewählten Stichprobe von 1,5 Prozent der Stimmbezirke durchführen. Das werde auch in Deutschland eine Diskussion über Nachzählungen auslösen, glaubt Wiesner, denn im Kern ginge es darum, ob die Verwendung statistischer Methoden bei Wahlprüfungen akzeptierbar sei oder nicht.
Über den Berichten und dem Gedankenaustausch blieb den Workshop-Teilnehmern kaum Zeit, länderübergreifende Strategien zu finden. Ziemlich einig waren sie sich aber in der Einschätzung, dass die Diskussionen über die Risiken des e-Voting aus der IT-Ecke heraus müssen. "Hier geht es um mehr als Politik", meinte die irische Aktivistin Margaret McGaley, "hier geht es um die Demokratie selbst".
Zum Thema E-Voting siehe auch:
- Wahlmaschinen: Florida rudert zurück
- Cottbus verabschiedet sich von Wahlcomputern
- 23C3: "Das Bundesinnenministerium hat das Wahlrecht gehackt"
- Wahlprüfungsausschuss: Bedenken gegen Wahlcomputer "offensichtlich unbegründet"
- "Eine neue Situation", E-Voting in Deutschland nach dem Wahlmaschinen-Hack , Interview mit Professor Dieter Richter von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, c't 24/06, S. 72
- Italien stoppt Wahlcomputer-Projekte
- Demokraten fechten Wahlergebnis in Sarasota (Florida) an
- Alles legal: Wahleinspruch in Cottbus abgelehnt
- Wahlcomputer in Florida unterschlagen jede achte Stimme
- Misstrauen gegen Wahlgeräte: Wahleinspruch in Cottbus
- Erneut Wahlmaschinen-Debakel in den USA
- E-Voting: Hamburg führt den digitalen Wahlstift ein
- Floridas Wahlcomputer führen erneut Eigenleben
- Grünes Licht in den Niederlanden für Nedap-Wahlcomputer
- SDU-Wahlcomputer von niederländischen Parlamentswahlen ausgeschlossen
- "Die Nicht-Lösung eines nicht existierenden Problems", Rop Gonggrijp zu den Konsequenzen aus dem Wahlmaschinen-Hack, c't 23/06, S. 36
- NIST soll US-Wahlmaschinen prüfen
- CCC kritisiert schwere Mängel bei Wahl in Cottbus
- Bundestags-Petition gegen Wahlcomputer
- Großbritannien nimmt neuen Anlauf zum E-Voting
- Schach dem E-Voting, Hackerteam demonstriert die Manipulierbarkeit von Wahlcomputern, c't 22/06; S. 52
- PTB will den Wahlcomputer-Hack "aufmerksam und gründlich" studieren
- Wahlmaschinen-Prüfer würdigen Arbeit der Nedap-Hacker
- CCC fordert Verbot von Wahlcomputern - Nedap wehrt Vorwürfe ab
- Niederländische Bürgerinitiative knackt Nedap-Wahlcomputer
- Erneut Sicherheitsmängel bei Wahlmaschinen nachgewiesen
- Obskure Demokratie-Maschine, Sind Wahlcomputer manipulationssicher?, c't 20/06, S. 86
- Niederländische E-Voting-Gegner wollen Widerstand in Europa vernetzen
- E-Voting: Online wählen mit zertifizierter Sicherheit
- E-Voting: Nur die letzte Stimme zählt
- E-Voting: "Allmählich wird es ernst"
- E-Voting: Ja, aber ..., Bedenken gegen die Wahlcomputer von Nedap, c't 16/06, Seite 54
- Naive E-Wähler, Rechtliche und technische Probleme bei Wahlcomputern in Deutschland, c't 15/06, Seite 104
- Der Stift-Kompromiss, Das Hamburger Landeswahlamt propagiert fürs Voting den digitalen Wahlstift, c't 6/06, S. 90
- "Der schleichende Verfall der öffentlichen Kontrolle", Der 22C3 diskutiert über Wahlen per Internet und E-Voting, c't 2/06, S. 20
- E -Voting vs. Verfassung, Rechtliche Bedenken bei elektronischen Wahlmaschinen in Deutschland, c't 1/06, S. 80
- Elektronische Wahlen?, Einige verfassungsrechtliche Fragen, c't 23/05, S. 228
- Dreimal drücken – fertig?, E-Voting-Großeinsatz bei der Bundestagswahl, c't 19/05, S. 54
- Trial and Error, Streit um technische Richtlinien für US-Wahlcomputer, c't 17/05, S. 54
- E-Voting – ein Spiel mit dem Feuer, Elektronische Wahlsysteme bei den US-Präsidentschaftswahlen 2004, c't 23/04, S. 100
- Verführerischer Charme ..., ... aber die Einführung allgemeiner Online-Wahlen bleibt umstritten, c't 11/01, S. 22
- Der virtuelle Wähler, Zweifel am Urnengang mittels Internet, c't 8/01, S. 70
Autor(en)/Author(s): (Richard Sietmann) / (vbr/c't)
Quelle/Source: Heise online, 09.02.2007