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Monday, 1.07.2024
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Wenn ein Pastor einer kleinen fundamentalistischen Christengruppe in den USA mit der Verbrennung von Koran-Ausgaben droht und damit die globale Sicherheitslage durcheinander bringt, wenn Epidemien sich global in Windeseile ausweiten, wenn mittels Computerviren technische Anlagen von jedem Ort der Welt aus gezielt zerstört oder ausgeschaltet werden können, sind das deutliche Anzeichen einer sich ausweitenden Weltrisikogesellschaft. Das enorme Schadens- und Krisenpotenzial wird sichtbar, wenn über die Möglichkeit spekuliert wird, ob Terroristen mittels Computerviren von jedem Ort der Welt in jeder beliebigen Stadt der Welt den Strom abschalten können.

Krisen sind längerfristige Erscheinungen mit tiefgreifenden Veränderungen, die durch einen hohen Grad an Unsicherheit gekennzeichnet und nicht durch einfaches Notfallmanagement behoben werden können. Im Gegensatz zu Katastrophen, die auch durch Naturereignisse ausgelöst werden können, sind Krisen per definitionem ausschließlich „menschengemacht“. Beispielweise wurde die Krise in der Folge des Hurrikans Katrina 2005 in New Orleans nicht durch die Naturkatastrophe selbst ausgelöst, sondern durch das mangelhafte Katastrophenmanagement der USA, das dem eines Entwicklungslandes ähnelte. Die eigentliche Krise entwickelte sich erst aus dem Unvermögen mit der Katastrophe richtig umzugehen. Damit stellt sich die Frage, wie ein adäquates Management für Krisen aussehen kann und ob das Public Management hierfür etwas zu bieten hat.

Im Public Management wie in den Verwaltungswissenschaften spielt Krisenmanagement, das die Früherkennung und Prävention von Krisen, die unmittelbare Krisenreaktion und den Wiederaufbau umfasst, bis dato so gut wie keine Rolle. Hier geht es hauptsächlich um Management und Steuerung in Normalsituationen. Als Abweichung vom Normalfall wird bestenfalls die Steuerung von Veränderungsprozessen angesehen, in deren Rahmen im gewissen Umfang mit unvorhergesehenen Ereignissen zu rechnen ist.

Für ein funktionsfähiges Krisenmanagement sind jedoch klassische Management-Ansätze nur begrenzt hilfreich. Sie würden Krisen unter Umständen noch verstärken, weil bei anbahnender Krise schnelles sowie unkonventionelles Handeln und nicht konsensorientierte Entscheidungen gefragt sind.

Es stellt sich die Frage, ob Krisen überhaupt durch Management bewältigt werden können, zumal wir es zunehmend mit „neuartigen Krisen“ zu tun haben. Während „herkömmliche“ Krisen noch vergleichsweise überschaubar waren und gut bewältigt werden konnten, trifft das für so genannte „moderne Krisen“ immer weniger zu. Sie sind gekennzeichnet durch Schneeballeffekte, langen und ungewissen Verlauf sowie durch hohe, nicht abschätzbare ökonomische und soziale Kosten. Lineare Zusammenhänge von Ursache und Wirkungen existieren kaum, so dass Früherkennung und Krisenvermeidung oder ein späteres Intervenieren zusehends schwieriger werden.

“Im Zweifelsfall zählt Fachexpertise”

Die Herausforderung besteht vor allem darin, auf das Unerwartete vorbereitet zu sein. Es ist eine erhöhte Sensitivität für Gefährdungen zu entwickeln, ohne zu einer „paranoiden“ Organisation zu werden. Außerdem bedarf es einer Fehlerkultur, bei der u.U. auch kleinste Veränderungen ernst genommen werden. Hintergrund ist, dass sich viele kleine, scheinbar „belanglose Fehler“ kaskadenartig schnell zu dramatischen Folgen entwickeln können. In Krisenzeiten gelten zudem andere Prinzipien der Führung: Politiker präsentieren sich zwar gern bei Hochwasser, Waldbränden oder anderen Katastrophenfällen als „große Macher“ publikumswirksam in Stiefeln und rustikalen Pullovern; die Fäden haben jedoch andere in der Hand. In der Praxis zeigt sich, dass Personen aus der zweiten oder dritten Reihe häufig die besseren Krisenmanager sind. Es gilt: Im Zweifelsfall zählen Fachexpertise und die Fähigkeit, unter hohem Druck und Unsicherheit Entscheidungen treffen zu können und zu wollen.

“Krisenprävention hat keine Lobby”

Während eingetretene Krisen hohe Aufmerksamkeit erhalten, wird nach deren Bewältigung gern alles wieder vergessen; Krisenprävention hat keine Lobby. Welcher Politiker möchte schon gern seinen Wählern erzählen, dass sie sich zuhause für den Fall der Fälle diverse Vorräte anlegen sollen; auch Terrorwarnungen oder sonstige Vorsichtsmaßnahmen sind nicht sonderlich beliebt. Insofern ist die Art und Weise, wie bedacht und besonnen Ende des letzten Jahres die Terrorwarnung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière herausgegebenen wurde als positives Gegenbeispiel zu sehen. Sie hat zu einem erheblichen Vertrauensgewinn in der Bevölkerung geführt. Krisenmanagement unterliegt eigenen Spielregeln und politischen Handlungsrationalitäten.

Auch die Governance ist im Krisenfall anders als in Normalsituationen: Klassische Kommunikationswege müssen umgangen werden, Stabsarbeit sowie schnelle Abstimmungen und Koordination sind ressort-, ebenen- und sektorübergreifend erforderlich. In Krisen wird Governance zu Management: aus „soft“ wird „hard coordination“. Hinzu kommen internationale Abstimmungen und Zusammenarbeit. Schließlich unterliegen der Wiederaufbau und die Prävention anderen Regeln, z.B. wenn staatliche Strukturen nach einer Katastrophe nicht mehr funktionieren, wie sich am Beispiel von Haiti nach wie vor drastisch zeigt.

Es wird deutlich, dass Krisenmanagement eine ganze Reihe besonderer Management-Instrumente erfordert, die bisher vom Public Management noch wenig berücksichtigt wurden. Das verwundert insofern, als gesellschaftliche Sicherheit einen Kernbereich der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung darstellt und die Entwicklung von Krisenmanagement in der Praxis schon weit vorangeschritten ist. Insofern wäre ein Public Management, das sich auch auf Krisenmanagement erweitert, wünschenswert und in Anbetracht der fortgeschrittenen praktischen Entwicklung sowie der bestehenden Herausforderungen dringend geboten. Oder anders formuliert: Die Zeiten eines ausschließlich auf „Schönwetter-Management“ beschränkten Public Managements sind endgültig vorbei.

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Autor(en)/Author(s): Prof. Dr. Tino Schuppan

Quelle/Source: government2020, 25.01.2011

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