Today 293

Yesterday 427

All 39462000

Monday, 1.07.2024
eGovernment Forschung seit 2001 | eGovernment Research since 2001
Handy und PC statt Bierzelt und Infostand: Mit SMS-Werbung, "Rapid Response" und Wahlprogrammen auf Türkisch versuchen die Parteien, die jungen Wähler zum Urnengang zu bewegen. Eigentlich ist Wahlkampf einfach: Man stellt Plakate auf, verdonnert altgediente Parteigänger an beschirmte Infostände und hofft, dass die Parolen den Nerv des Wahlvolks treffen. Doch den Jungwähler erreicht man im Post-Dotcom-Zeitalter so nicht - kein Twen vergeudet seine kostbare Zeit mit Diskussionen in der Fußgängerzone. Auf den Multimedia-Wahlkampf kann heute keine Partei mehr verzichten: Im Netz und per SMS präsentiert man sich innovationsfreundlich, fortschrittlich und bürgernah.

Wenn es nach der SPD geht, piepsen und vibrieren Handys vor der Europawahl im Namen der "Roten". Ein kostenloser SMS-Service soll die Wahlbotschaft unters dauersimsende Jungvolk bringen: Wer die eigene Handynummer sowie die des Empfängers angibt, kann Freunden und Bekannten eine Kurznachricht zukommen lassen - verziert mit einem "roten" Slogan, der den Leser am Wahltag zum Kreuz an der richtigen Stelle motivieren soll: "Europa muss Friedensmacht sein! Am 13. Juni SPD wählen!" oder "Europa braucht (D)eine Stimme! Am 13. Juni SPD wählen!"

"Wir sind in Deutschland die ersten mit einem solchen Service", freut sich Christian Arns, Pressesprecher der "Europakampa" der SPD. Er hofft auf einen Schneeballeffekt: Die sozialdemokratischen Grüße sollen von Handy zu Handy weitergeleitet werden. Das Medium ist dabei die Message: "Es soll zeigen, dass die Partei genau sieht, wie die Alltagswirklichkeit der Wähler aussieht", so Arns.

In anderen Ländern wird die Kurznachricht längst als politischer Werbeträger genutzt: Auf den Philippinen, wo 2001 durch eine SMS-Kette die Massendemonstrationen in Gang gesetzt wurden, die schließlich zum Sturz des korrupten Regierungschefs Estrada führten, verschicken zur Präsidentschaftswahl 2004 so genannte "Text Brigades" mit Softwarehilfe mehr als 100 SMS pro Minute. Die Botschaften sind simpel und werden nach dem Gießkannenprinzip verschickt: "Ping ist the best" oder "Don't vote Gloria". Ganz so weit will die SPD nicht gehen. Schließlich sollen die Wähler nicht durch unerwünschte Spam-SMS verschreckt werden. "Sie selbst schicken ja eine persönliche Botschaft an Bekannte und Verwandte", erklärt Arns den Unterschied. Eine Erfolgskontrolle ist bei dieser Werbung allerdings nur schwer möglich.

20 Minuten bis zum Gegenschlag

Die CDU will mithalten und setzt auf "Rapid Response", eine Technik, die der ehemalige US-Präsident Bill Clinton für seinen Wahlkampf entdeckte: Jeder Satz und jede Aussage des politischen Gegners wird innerhalb von Minuten auf der Homepage kommentiert und, soweit möglich, widerlegt. Vom Ende einer Rede bis zum argumentativen Gegenschlag per Newsletter dauert es nicht länger als 20 Minuten.

Die Arbeit scheint sich zu lohnen: Mit 4,5 Millionen page views im Monat steht das CDU-Angebot in der Surfergunst weit oben. Es gibt Live-Chats, die Lebensläufe der Kandidaten, News und die Wahlkampfmaterialien zum Download. Allerdings sind die angebotenen Informationen eher für Parteimitglieder interessant - Unterhaltungswert bietet die Seite nur wenig.

Auf dem Niveau des "Iserlohner Kreisanzeigers"

Natürlich sieht sich auch die FDP als Vorreiter der Politik im Netz. "Für uns ist das Internet extrem wichtig", beteuert Bundesgeschäftsführer Hans-Jürgen Beerfeltz, "es ist inzwischen die zentrale interne Kommunikationsquelle." Auch der stellvertretende Parteisprecher Wulf Oehme singt ein Loblied auf das World Wide Web: "Das ist die Lehre aus den vergangenen Wahlkämpfen: Das Medium wird immer wichtiger". Mit einer türkischen Übersetzung des Wahlprogramms versucht die Partei, auch Migranten für liberale Politik zu begeistern.

Die Nutzerzahlen entlarven indes die hehren Ideale als Wunschdenken: Gerade mal 200.000 page views kann die FDP-Europawahlkampfseite im Monat aufweisen, das türkische Wahlprogramm wurde bisher ganze 400-mal herunter geladen. Damit liegt die FDP etwa auf dem Niveau der Onlineausgabe des "Iserlohner Kreisanzeigers". Die PDS zählte in diesem Monat immerhin eine halbe Million Besucher. Den Europawahl-Newsletter der Liberalen haben gerade mal 600 Interessierte abonniert - für Oehme ist das bereits ein Erfolg.

Zehn Prozent ihres Wahlkampfetats gibt die FDP für ihren Auftritt im Internet aus. Für Oehme vor allem Konsequenz der düsteren Kassenlage: "Wenn sie ein Budget von einer Million Euro haben, müssen sie jede Möglichkeit nutzen, günstig Aufmerksamkeit zu erregen." Mit der Homepage würde die Partei vor allem Multiplikatoren, junge Wähler und die so genannten "Mobilen Alten" erreichen - ein Hoffnungsschimmer für die gebeutelten Liberalen, die auf eine Revitalisierung der Partei durch junge, technikaffine Neumitglieder hoffen. Deshalb wurde auch bereits ein 17. Landesverband gegründet: der FDP LV Net existiert nur im Netz. Das Bundeswahlgesetz hat mit dem originellen Vorstoß allerdings noch seine Probleme: Es lässt nur Gebietskörperschaften zu. Bis der erste Abgeordnete aus der Netzwelt im Parlament sitzt, wird es wohl noch ein wenig dauern.

Quelle: Spiegel online, 27.05.2004

Go to top