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Monday, 1.07.2024
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Es steht nicht gut um die Informationsfreiheit in Deutschland: Obwohl sich die rot-grünen Regierungsfraktionen bislang in jeder ihrer Koalitionsvereinbarungen auf die Verabschiedung eines bundesweiten Informationsfreiheitsgesetzes festgelegt haben, ist der Prozess auch in dieser Legislaturperiode wieder komplett ins Stocken geraten. Ein progressiver Gesetzesentwurf, der das demokratische Anliegen eines solchen Werks nicht von vornherein ad absurdum führen würde, ist nirgends in Sicht. Einzelne Ressorts, die Verwaltung und Wirtschaftsverbände mauern und machen im wahrsten Sinne des Wortes trotz entgegengesetzter Vorstöße einzelner Medienkonzerne alle Schotten dicht. Doch "über kurz oder lang kommt Deutschland nicht daran vorbei, ein einheitliches Informationsfreiheitsgesetz zu schaffen", zeigt sich Alexander Dix, Landesbeauftragter für Datenschutz und Akteneinsicht in Brandenburg, im Jahr der Informationsfreiheit 2003 optimistisch.

Das Menschenrecht auf Einblicke in die Aktenberge steht am heutigen Montag auf dem Programm des internationalen Symposiums "Informationsfreiheit und Datenschutz im Internet", zu dem der Berliner Landesdatenschutzbeauftragte am Rande der IFA geladen hat. Die Experten seien sich einig gewesen, erklärte der für den erkrankten "Hausherrn" eingesprungene Dix, dass sich die beiden Pole nach den gesammelten Erfahrungen in den Ländern mit eigenen Akteneinsichtsgesetzen -- Brandenburg, Berlin, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen -- "geradezu gegenseitig bedingen" und "keineswegs ausschließen". Keiner der deutschen Beteiligten glaubt allerdings daran, dass noch in diesem Jahr das Informationsfreiheitsgesetz in Deutschland Realität wird. "Es ist sehr schwer, in diesem Bereich in 2003 Dinge zu bewegen", fasst Friedrich Schoch vom Institut für öffentliches Recht an der Universität Freiburg seine Erfahrungen mit der Bundesregierung zusammen. Deutschland sei nach wie vor das Schlusslicht in Sachen Informationsfreiheit.

Die Verfechter eines transparenteren Umgangs mit Verwaltungsinformationen setzen daher auf Impulse von der europäischen Ebene. So sehe sich die Regierung momentan gezwungen, nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshof das 1992 erlassene und bereits mehrfach überarbeitete Umweltinformationsgesetz erneut "aufzubohren", erklärte Dix. Schon heute würden viele allgemeine Verwaltungsinformationen unter das Gesetz fallen, etwa im Bereich der Bauplanung, sodass es "mehr als einen kleinen Bereich" abdeckt. Durch die Entscheidung des Gerichtshofs müsse es nun noch einmal erweitert werden, was den Druck in Richtung einer allgemeineren Informationsfreiheit mit sich bringe. Weitere Vorstöße gebe es auch vom Europarat. Noch unklar sei dagegen, was genau die kurz vor der Verabschiedung stehende EU-Richtlinie über die Kommerzialisierung von Dokumenten des öffentlichen Sektors bringe. "Der Widerstand ist auf längere aber Sicht zwecklos", so Dix im Hinblick auf das europäische Gemeinschaftsrecht.

Die vor allem von Industrieverbänden, dem hinter ihnen stehenden Wirtschaftsministerium und dem Verteidigungsressort immer wieder geäußerten Bedenken gegen das Informationsfreiheitsgesetz hält Schoch zudem für fehlgeleitet. In den Pionierländern hätte sich gezeigt, dass das Interesse der Bürger sich "nur zu einem Bruchteil" auf wirklich schützenswerte personenbezogene Belange und Geschäftsgeheimnisse beziehe. Es sei "nicht nachvollziehbar", dass diese trotzdem immer wieder gegen die Entstaubung der Verwaltungen ins Feld geführt würden. Dahinter stehe vielmehr ein "mentales Problem, das Wirtschaft und Politik teilen." Deutschland habe etwa jahrzehntelang gegen mehr Transparenz beim Vergaberecht verstoßen und das auf mehr Offenheit setzende EU-Recht sei nur sehr zögerlich umgesetzt worden.

Die Datenschützer vergaßen auch nicht erneut darauf hinzuweisen, dass in anderen Ländern die Rechtskultur längst weiter ist. "In Estland müssen alle Unternehmen, die sich um öffentliche Aufträge bewerben, akzeptieren, dass alle ihre Daten offengelegt werden", führte Dix eine radikale Lösung an. Auch die Veröffentlichung der Tonbänder mit den letzten Gesprächen der New Yorker Terroropfer vom 11. September nach dortigem Recht sei in Deutschland "unvorstellbar". Trotzdem beklagte Marc Rotenberg von der Washingtoner Bürgerrechtsorganisation Electronic Privacy Information Center (EPIC), dass nach den Anschlägen mehr und mehr Informationen wie jüngst etwa auch über die Hintergründe des großen Stromausfalls im Nordosten der USA und die Situation der "kritischen Infrastrukturen" geheimgehalten würden. EPIC habe sich trotzdem mit Klagen vor Gericht gegen die Geheimniskrämerei bei Überwachungsprojekten wie dem Total-Information-Awareness-Programm des Pentagons durchgesetzt. Man käme an einschlägige Dokumente demnach durchaus noch auf Basis des gut 30 Jahre alten Freedom of Information Act heran, resümierte Rotenberg, "aber es macht mehr Arbeit als früher".

Quelle: Heise online

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