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Wednesday, 3.07.2024
eGovernment Forschung seit 2001 | eGovernment Research since 2001
Sie heißt "INES" und könnte die französische Schwester des Orwellschen Big Brother sein. Bei INES handelt es sich um das Projekt des französischen Innenministeriums, eine "Identité nationale électronique securisée" einzuführen. Übersetzt heißt das, dass ab 2007 in Frankreich ein elektronischer Personalausweis mit integriertem Mikrochip eingeführt werden soll, auf dem neben dem "État civil" (Familienstand) und der Adresse auch biometrische Daten des Inhabers gespeichert werden sollen.

Zum Beispiel ein digitales Foto zur Gesichtserkennung und ein digitaler Fingerabdruck. Außerdem soll er eine elektronische Unterschrift beinhalten. Das System "INES" soll auf sämtliche wichtige persönliche Dokumente (Reisepass, Führerschein) erweitert werden und deren Handhabung sowohl für den Bürger als auch für den Staat sicherer machen.

Bisher war die "carte d'identité" für die Franzosen nicht obligatorisch und kostenlos, was die Zahl der Identitäts-Betrüger um mehr als das zehnfache hat anwachsen lassen. Wurden im Jahr 1997 39.000 Personalausweise gestohlen gemeldet, so waren es 2004 bereits eine halbe Million. Mit Hilfe von INES soll Dokumenten-Missbrauch wenn nicht ganz und gar unmöglich gemacht, so doch sehr eingeschränkt werden.

INES-Zukunft ist ungewiss

Im Juni wurde das Projekt, bis dato Augenstern des französischen Innenministeriums, vom neuen alten Innenminister Nicolas Sarkozy auf Eis gelegt. So ist die Zukunft von INES bis auf weiteres ungewiss. Fest steht, dass Frankreich 2004 das europäische Reglement unterzeichnet hat, nach dem es sich verpflichtet, innerhalb einer Frist von zwei Jahren einen biometrischen Pass einzuführen. Dieser soll neben einem digitalen Foto auch die digitalen Fingerabdrücke des Passinhabers beinhalten. Von einem biometrisch ausgestatteten Personalausweis ist bei dem europäischen Abkommen allerdings nicht die Rede.

Man wolle sich Zeit nehmen, um noch einmal über das Projekt nachzudenken, so Sarkozy im Juni. Als der frühere Premier Jean-Pierre Raffarin im April sein Projekt für die innere und äußere Sicherheit vorstellte, zog er sich starken Unmut von allen möglichen Vereinen und Vereinigungen zu. Getrieben von Orwellschen Ängsten unter dem Dach der "Liga für Menschenrechte" fanden sie sich zusammen, um gegen das Regierungsprojekt Stimmung zu machen.

Unmut über nationale Datei

Den besonderen Unmut der Bürgerrechtsvereinigungen zog sich die Regierung mit dem Plan zu, mit Hilfe dieses omnipotenten digitalen Datenträgers eine nationale Datei anzulegen. In dieser soll die gesamte Bevölkerung Frankreichs registriert werden und so hätte der Staat jederzeit und überall (virtuellen) Zugriff auf die Daten eines jeden Bürgers. Ohne dass dieser zwangsläufig davon Ahnung hat. Die kontaktlose Chipkarte soll nämlich auch aus der Distanz lesbar sein, ganz gemäß des Prinzips des elektronischen Metrotickets, das Paris 2002 eingeführt hat - und dank dem die Spuren des urbanen Individuums jederzeit zu verfolgen sind. Bei seiner kleinen Schwester "INES" wird es sich allerdings nicht nur um das Wissen der soeben frequentierten Metrostationen handeln, sondern um sämtliche identitätsbestimmenden Merkmale einer menschlichen Existenz.

1974 hat eine französische Regierung schon einmal versucht, ein solches Projekt zu lancieren: Mit "Safari" sollte eine nationale Datenbank geschaffen werden, die sämtliche Koordinaten der Bürger dem Staat zugänglich macht. Die Franzosen waren damit gar nicht einverstanden, protestierten heftig und der damalige Premier Pierre Messmer war genötigt, das Projekt zurückzuziehen. Stattdessen wurde die "Nationale Kommission für Datenschutz und bürgerliche Freiheiten" (CNIL) gegründet, die im Frühling 2005 von Dominique de Villepin, damals noch Innenminister, beauftragt wurde, das System "INES" auf seine Funktionstüchtigkeit und Legitimität zu überprüfen.

Internationalen Zwängen nachgegeben

Der Wunsch des Staates nach leichterem Zugang zu den Daten seiner Bürger, der 1974 noch heftige Proteste bei den Franzosen hervorrief, erweckt 2005 eher Skepsis. Die zunehmende Digitalisierung ist auch den Franzosen bequem, man hat sich daran gewöhnt, alles von überall aus machen zu können - und eine digitalisierte Administration könnte langwierige Gänge aufs Amt überflüssig machen. Dann muss in einer globalisierten Welt selbstverständlich auch internationalen Zwängen nachgegeben werden, das gilt sogar für die Franzosen.

Das amerikanische Ultimatum für "biometrisch ausgestattete" Reisedokumente, das im Oktober 2006 ausläuft, forciert die Adaption der Mikrochip-Identitäten. Noch ist das Projekt INES aufgeschoben, aber es könnte, wie Alain Weber von der Bürgervereinigung "Ligue des Droits de l'Homme" meint, sehr schnell wieder ganz oben auf der Tagesordung der französischen Politiker erscheinen. Und dann könnte 2007 in Frankreich 1984 sein.

Preis für Biometrie-Pass unbekannt

Auch kostet die kleine Schwester des Big Brother: 205 Millionen Euro zusätzlich sind bisher für die "Identitätsreform" veranschlagt. Was den Preis für einen biometrisch ausgestatteten Reisepass angeht, wird von offizieller Seite noch geschwiegen. Der "herkömmliche" französische Reisepass kostet 60 Euro, die Hightechversion desselben wird höchstwahrscheinlich ein bisschen teurer werden.

Autor: Julia Amalia Heyer

Quelle: ZDF heute, 24.10.2005

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