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Wednesday, 3.07.2024
eGovernment Forschung seit 2001 | eGovernment Research since 2001
Schon der Zugang zu Informationen, die in der entwickelten Welt als selbstverständlich gelten, wirkt unmittelbar positiv auf Entwicklung. Es nicht immer um große Technikprojekte. Vielfach sind es die kleinen Lösungen, die aus dem lokalen Problemkontext heraus entstehen, die dann auch besser vor Ort akzeptiert werden. In Kenia wurde beispielsweise ein elektronisches System installiert, mit dem anonym Korruptionsfälle gemeldet werden können – in der Region ein Novum. Es wurde mit geringem Investitionsaufwand realisiert. Auch in der Telemedizin oder beim eLearning sind konkrete entwicklungspolitische Beiträge bereits sichtbar – so Prof. Dr. Tino Schuppan, Wissenschaftlicher Direktor des Institutes für eGovernment in Potsdam.

Im Interview für den MDG-Media-Blog fragte ihn Karla Sponar:

1. Wie kann eGovernment – für die Entwicklung nützlich sein?

Prof. Schuppan: Unter eGovernment versteht man nicht nur die Online-Abwicklung von Leistungen des Staates, sondern die Transformation staatlicher Strukturen mittels Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), die am Ende zu einer transparenteren, effektiveren und effizienteren Verwaltung führen kann. eGovernment kann zu Good Governance, also zu gutem Regierungs- und Verwaltungshandeln beitragen. Good Governance trägt wiederum, so auch die empirischen Belege, zu vermehrten privaten Investitionen bei. Eine funktionierende Verwaltung ist somit auch eine grundlegende Voraussetzung für jegliche Art von Entwicklung.

Das ist vielfach schon sichtbar: Wenn etwa ein Bauer in einem abgelegenen Gebiet über ein Smart-Phone oder Handy Informationen über Preise für Agrarprodukte – wie in Indien oder Afrika schon realisiert – erhält und dadurch beim Verkauf seiner Ernte Zwischenhändler umgehen kann, kann das unmittelbar das Einkommens der ländlichen Bevölkerung erhöhen. Ein konkreter Beitrag zur Armutspolitik. Oder: Wetterinformationen zur richtigen Zeit – sie können eine Ernte retten.

Ein anderer Bereich sind integrierte Finanzsysteme. Sie helfen, Finanzflüsse innerhalb des Staates besser zu kontrollieren und transparenter zu machen, um damit auch den Mittelabfluss besser überwachen zu können. Manipulations- und auch Korruptionsmöglichkeiten lassen sich so reduzieren. Auch der Kreis der Steuerpflichtigen lässt sich auf diese Weise besser überwachen, um höhere Steuereinnahmen zu sichern. Denn in vielen Ländern Afrikas südlich der Sahara stellt sich das Problem des „Failing State“: Es liegen kaum funktionierende staatliche Strukturen vor. Vor diesem Hintergrund müssen die Potenziale von eGovernment in Entwicklungsländern anders als in entwickelten Ländern gesehen werden. eGovernment kann selbst nicht die Ursachen eines Failing State beheben, aber es kann oft konkret zur verbesserten Regierungstätigkeit beitragen – wenn der politische Wille da ist.

Gerade in den Staaten Afrikas südlich der Sahara ist häufig das Steueraufkommen so gering, dass auch grundlegende staatliche Funktionen und Strukturen nur unzureichend oder gar nicht vorhanden sind, weil sie nicht finanzierbar sind. Bezogen auf das Steuerbeispiel: Wenn es in vielen Ländern Afrikas südlich der Sahara überhaupt kein funktionierendes Steuerverwaltungssystem gibt, warum nicht gleich von Anfang an ein elektronisches aufbauen?

2. Was zeigen Ihre Auswertungen im Einzelnen? Hat eGovernment auch direkte Nachteile?

Prof. Schuppan: In jedem Fall ist Vorsicht bei einem allzu einfachen Transfer von eGovernment-Lösungen von Nord nach Süd geboten – das zeigen schon die langen Erfahrungen beim Transfer westlicher Verwaltungsmodelle. Insbesondere eGovernment-Konzepte – wie die Trennung in Front und Back Office – sind eben im Problemkontext der westlichen Welt entstanden. Bei einer Eins-zu-Eins-Übertragung unter anderen kulturellen, organisatorischen Rahmenbedingungen könnten sie gänzlich andere Wirkungen entfalten. Üblicherweise wird eine starke Trennung verschiedener Verwaltungsfunktionen propagiert. Die Gefahr dabei: Es kommt zu mehr Zentralisierung, mehr Korruption und weniger Transparenz.

Oder, um am Steuerbeispiel zu bleiben: Was nützt ein effizientes Steuer- und Finanzsystem, wenn sich anschließend nur eine korruptionsanfällige Staatsklasse an den Mehreinnahmen bedient und diese nicht für die Bevölkerung und Entwicklung eingesetzt werden. Transparenz ist hier gefragt; aber auch das ist weniger eine technische Frage. Die Kostensicht alleine hilft nicht weiter: Die Personalkosten afrikanischer Verwaltungen betragen nur ein Zehntel dessen, was westliche Industrieländer ausgeben. Personal durch IKT ersetzen könnte wegen der vergleichsweise hohen IT-Kosten im Ergebnis sogar zu einer weniger effizienten Verwaltung führen. Gerade afrikanische Verwaltungen haben ein generelles Effizienzproblem, aber eben auch ein gravierendes Effektivitäts- und Legitimationsproblem, was allzu leicht aus dem Blickfeld gerät. Es kommt vielfach darauf an, stabile staatliche Grundfunktionen aufzubauen.

Meist fehlt es schon an den erforderlichen öffentlichen Daten und Informationen, die Voraussetzung für eine vernünftige Entwicklungsplanung sind. Ein Staat braucht qualitativ hochwertige Daten; dazu zählen mindestens die folgenden so genannten „E-Daten“: Erde (damit sind geografische Daten gemeint), Einkommen (zwecks Besteuerung), Einwohner (Einwohnerregister) und Eigentum (Eigentumsnachweis). In afrikanischen Ländern entstehen vielfach informelle Siedlungsgebiete in urbanen Gebieten; auch weil Verwaltungsprozesse und die Katasterdaten nicht gut oder gar nicht organisiert sind. Das hat zur Folge, dass Menschen illegal bauen – nicht unbedingt, weil sie arm sind, sondern weil sie schlicht das Grundstück nicht oder nicht schnell genug erwerben können. Die entwicklungspolitischen Folgen: Sie können dann keinen Kredit bei einer Bank aufnehmen, weil sie das Grundstück, auf dem sie gebaut haben, nicht beleihen können. Der Finanzsektor leidet. In informellen Siedlungsgebieten gibt es dann erhöhte Kriminalität. Auch Infrastrukturen – wie Abwasser oder Straßen – entsprechen nicht den Standards. Das hat soziale und wirtschaftliche Folgen.

Genau bei solchen lokalen Problemen kann eGovernment ansetzen. Andernfalls wird entwicklungspolitisch an den Problemen vorbeikonzipiert. Damit also eGovernment seine Wirkung entfalten kann, sind vorhandene Probleme und soziale Strukturen zu untersuchen, um daraus angemessene Lösungsansätze zu entwickeln.

Im Ergebnis bietet eGovernment zwar eine Reihe von Potenzialen, die sich jedoch bei einem allzu naiven Transfer leicht ins Gegenteil verkehren könnten. Es kommt vor allem auf die Management- und Organisationskompetenz an, weniger auf die reine Informatikkompetenz.

3. Welche direkten Erfolge konnten Sie aus Ihren Erfahrungen für Good Governance feststellen?

Prof. Schuppan: Wir beobachten, dass in vielen Entwicklungsländern Entscheidungsträger gern eGovernment einsetzen, um sich nach außen modern zu geben. Die Wirkung für Good Governance ist ihnen dabei nicht unbedingt bewusst. Beispiel Ägypten: Da war es vor Jahren noch ein Problem, Informationen über Verwaltungsleistungen in Broschüren für Bürger bereitzustellen. Hierfür war sogar die Erlaubnis vom Innenminister erforderlich. Heute sind dort solche Informationen selbstverständlich auf Regierungswebseiten zu finden. IKT entwickelt manchmal eine Eigendynamik, die einfach vorher nicht abschätzbar ist.

Insgesamt ist beklagenswert, dass in diesem Bereich einfach zu wenig Forschung finanziert wird. eGovernment wird dann schnell in die technische Ecke gedrängt, dabei hängt vieles nicht an der technischen Frage. Es geht nicht um den Einsatz irgendwelcher IKT-Lösungen, sondern um die Etablierung neuer Interaktions- und Sozialstrukturen, die immense entwicklungspolitische und wirtschaftliche Bedeutung haben können.

4. Wie sollten in der Entwicklungspolitik Geberorganisationen oder Geberländer mit eGovernment umgehen?

Prof. Schuppan: Im entwicklungspolitischen Diskurs hat eGovernment und IKT längst eine nicht mehr wegzudenkende Stellung eingenommen. Kanada, USA oder auch einige wenige europäische Staaten – wie Italien – haben bereits einige Erfahrungen bei der Umsetzung von eGovernment in Entwicklungsländern gesammelt.

Neuerdings gehen asiatische Länder in Sachen eGovernment-Export stark voran. Als größter weltweiter Exporteur von eGovernment-Lösungen hat sich innerhalb weniger Jahre Südkorea hervorgetan und das in rasanter Geschwindigkeit und mit hoher Professionalität. Dort sieht man eGovernment jedoch weniger als Entwicklungsthema, sondern dahinter stehen handfeste politische und ökonomische Interessen. Einheimische Soft-, Hardware- und Infrastrukturhersteller sollen gefördert werden. Empfangsland südkoreanischer eGovernment-Lösungen ist etwa – Vietnam: Hier wurde ein integrierten Rechenzentrum aufgebaut, einer eProcurement-Lösung und ein eGovernment-Ausbildungszentrum. Oder Ruanda: Neben einem integrierten Rechenzentrums wurden eine nationalen Breitband-Infrastruktur sowie Telezentren in ländlichen Gebieten aufgebaut. In Indonesien wurden zusätzlich Bürgerdienste-Lösungen eingesetzt.

In der deutschen Entwicklungspolitik spielt eGovernment wie auch andere IT-Anwendungsfelder (Telemedizin oder eEducation) eine eher nebensächliche Rolle. Zwar gibt es isolierte Projekte mit vereinzeltem eGovernment-Bezug, so beispielsweise in Tansania die eTaxation oder die elektronische Korruptionsmeldung in Kenia. Jedoch kamen diese eher zufällig denn als Ergebnis einer grundlegenden Ausrichtung zustande.

Dabei würde eGovernment gut zur Ausrichtung deutscher Entwicklungspolitik passen, weil hier seit Jahren Good Governance und Dezentralisierung auf der Agenda stehen. Darüber hinaus ist eGovernment hervorragend als „Türöffner“ für Good Governance geeignet, zumal auch in vielen nicht-demokratischen Systemen generell eine hohe IT-Affinität besteht.

Insbesondere im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wird das Thema weitestgehend vernachlässigt und das, obwohl „ICT4D“ (Informations- und Kommunikationstechnologie für Entwicklung, (www.infodev.org) längst zum internationalen Mainstream geworden ist. Nicht zuletzt gab es schon zwei Weltgipfel (WSIS) in den Jahren 2003 in Genf und 2005 in Tunis zu dem Thema mit Teilnehmern aus jeweils 175 Ländern, was in Deutschland wenig Beachtung fand. Bleibt zu hoffen, dass sich das zukünftig ändert.

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Autor(en)/Author(s): Karla Sponar

Quelle/Source: MediaMDG, 03.03.2010

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