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Friday, 5.07.2024
eGovernment Forschung seit 2001 | eGovernment Research since 2001
Das liebste Hobby der Esten: im Cafe sitzen. In der Hauptstadt Tallin bieten fast alle Lokale drahtlosen und noch dazu kostenlosen Internet-Zugang. An einem Tisch im Cafe Pegasus hockt James aus London und hackt in sein Laptop:

Ich lebe seit drei Monaten hier, handle mit Immobilien. Eigentlich wollte ich mir ein Büro mieten aber das ist nicht nötig! Ich sitze den ganzen Tag im Café, esse was, trink was, kuck die hübschen Mädchen an und arbeite online. Das ist doch viel angenehmer als in einem grauen Bürogebäude und billiger ist es auch! Eine fast futuristische Szenerie an diesem Vormittag: Das Cafe ist zwar vollbesetzt, aber die Gäste unterhalten sich nicht, jeder steckt den Kopf hinter sein Laptop:

Mein bester Freund lebt in San Francisco. Mit ihm telefoniere ich oft via Internet, und zwar gratis. Er kann es nicht fassen, dass Osteuropa so fortschrittlich ist!

Die Esten sind extrem internetfreundlich: Sie erledigen 75 Prozent ihre Bankgeschäfte ausschließlich online, eine Quote, von der deutsche Banken träumen. Auch die Steuererklärungen geben die meisten elektronisch ab. Überhaupt sparen sich die Esten lästige Behördengänge. Andrus Aaslaid ist der Internet-Berater des Wirtschaftsministers:

Das ist der Vorteil, wenn man ein paar Jahre später als alle anderen mit dem Internet anfängt. Wir mussten ja nach der Unabhängigkeit bei null beginnen! Jetzt sind wir soweit, dass niemand mehr mit einem Stapel Formulare von einem Büro zum anderen geschickt wird. Ziel von Bürokratie ist doch, dass die Bürger möglichst wenig mit ihr zu tun haben soll!

Alle Bürger haben eine elektronische Identität, die sie online abrufen können. Auf seinem Account sieht jeder, welche bürokratischen Prozesse gerade bearbeitet werden. Weil sich viele Leute auf dem Land keinen Computer leisten können, hat die Regierung vor allem in Dörfern kostenlose Internetstationen eingerichtet:

Diese Rechner stehen an Schulen, in Büchereien, an Bahnhöfen. Internet birgt ja auch ein Risiko: Dass es eine digitale Zweiklassen-Gesellschaft gibt. Das verhindern wir, indem wir allen einen bezahlbaren Internetzugang ermöglichen.

Auch die estnischen Politiker arbeiten papierlos. In die Parlamentssitzungen kommen sie mit Laptop statt mit Aktenberg. Alle Schulen sind miteinander vernetzt. Mit dem so genannten Projekt "Tigersprung" hat die Regierung 90 Prozent der estnischen Schulen mit Breitband-Anbindungen versorgt.

Unter E-School verstehen wir, dass Eltern, Schüler und Lehrer alles einsehen können: Lehrpläne etwa oder Stundenpläne. Die Eltern können mit den Lehrern per E-Mail kommunizieren und manche Schulen schicken die Noten per SMS an die Schüler. Das kommt richtig gut an!

Eine besondere Erleichterung für den Alltag ist auch E-payment: Rechnungen an Tankstellen, in Supermärkten oder Restaurants können die Esten mit dem Handy begleichen. Sie schicken eine SMS an ihre Bank, 30 Sekunden später erscheint der Beleg auf dem Kassencomputer im Laden. Diese Frau hat gerade ihr Auto geparkt und bezahlt die Parkgebühr per sms:

Ich muss nur zusehen, dass ich immer Geld auf meinem online-Konto habe. Dann gebe ich in mein Handy Pinnummer, Parkzone, Parkzeit und Nummernschild ein. Die Parkgebühr taucht dann automatisch auf meiner nächsten Handyrechnung auf.

Estland ist so fortschrittlich, dass an die E-Government-University in Tallin, wo alles über Internet gelehrt wird, Verwaltungsangestellte aus der ganzen Welt kommen. Das neue Europa hat das alte auf der Datenautobahn schon überholt.

Autor: Bernd-Uwe Gutknecht

Quelle: DeutschlandRadio, 31.07.2004

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