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Monday, 8.07.2024
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Egal ob Insel, kleines Dorf oder Hauptstadt - der Weg bis zum nächsten offenen WLAN ist in Estland nie weit. Dafür sorgt Veljo Haamer mit seinen kostenlosen Hotspots von Wifi.ee.

Hinsetzen, Laptop aufklappen und im Web surfen: In den Cafés der Altstadt Tallinns ist das ohne weiteres möglich. Selbst einige Supermärkte, Buslinien oder Tankstellen bieten ihren Kunden über die WLAN-Hotspots von Wifi.ee Internetzugang. Zu verdanken haben Esten und Touristen das dem 43-jährigen Veljo Haamer, mit dem Golem.de über sein Projekt Wifi.ee gesprochen hat.

Das Grundkonzept von Wifi.ee ist schnell erklärt. Da zum Bezahlen mit einer Debit- oder Kreditkarte sowieso ein Internetanschluss notwendig ist, kann "die Bandbreite, die nicht gebraucht wird, den Gästen bereitgestellt werden", erklärt Haamer.

Vor zehn Jahren reiste der studierte Physiker Haamer durch die USA und nutzte dabei das offene WLAN im New Yorker Bryant Park, um mit seiner Familie zu kommunizieren. Das brachte ihn auf die Idee, kostenlose WLAN-Hotspots auch in Estland zu etablieren und seinen Landsleuten einen freien Internetzugang zu bieten.

Aus dieser Idee entstand das Hotspot-Netzwerk Wifi.ee, das Haamer mit zwei Kollegen freiberuflich betreut. Unterstützt werden sie dabei von Freiwilligen, die meist in den ländlichen Regionen Estlands leben.

Fast überall Internet

Heute stehen mehr als 1.100 Wifi.ee-Hotspots zur Verfügung, verteilt über ganz Estland mit seinen etwa 1,3 Millionen Einwohnern. Jeder Este kann in kurzer Zeit einen der Wifi.ee-Hotspots erreichen: "In fast jeder Stadt Estlands gibt es mindestens einen Hotspot", sagt Haamer.

Gleich fünf Hotspots befinden sich auf der Insel Ruhnu in der Rigaer Bucht. Hier leben zwar nur knapp 60 Personen, es kommen aber viele Touristen auf die Insel. In einem anderen Dorf haben die Bewohner für einen Hotspot mit HSPA zusammengelegt: So kann das gesamte Dorf am digitalen Leben teilhaben.

Wifi.ee profitiert dabei auch von den großen Mobilfunkanbietern in Estland, denn deren monatliche Volumengrenzen liegen oft bei 30 oder 50 GByte. Zu Preisen ab etwa 20 oder 25 Euro im Monat können auch unbegrenzte Tarife genutzt werden. Zum Vergleich: Das durchschnittliche Bruttomonatseinkommen beträgt etwa 800 Euro.

Das Wort gratis will Haamer in Verbindung mit seinen Hotspots nicht hören. Diese können zwar bis auf sehr wenige Ausnahmen kostenlos genutzt werden, Haamer besteht aber darauf, die Hotspots als "included Service" zu betrachten.

Damit deutet Haamer an, dass die Kosten für den Netzzugang und den Betrieb einfach auf Kaffee, Tee, Kuchen oder was auch immer aufgeschlagen werden. Die anfallenden Kosten für den Betrieb der Hotspots sollten die Betreiber in ihre Preisgestaltung mit einfließen lassen. So hätten die Kunden, die das WLAN nutzen möchten, die wenigsten Probleme.

Für das Einrichten eines einzelnen Netzwerkes verlangt Haamer 50 Euro pro Stunde. In kleinen Cafés dauert die Konfiguration meist nicht viel länger. In großen Hotels, Büro- oder Konferenzgebäuden könnten jedoch auch weit über 1.000 Euro an Kosten anfallen, berichtet Haamer.

Für die Pflege und Administration der Netzwerke verlangt Wifi.ee zusätzlich eine monatliche Gebühr, welche sich hauptsächlich nach der Anzahl der Access-Points und täglichen Clients richtet. Eine Kaffeehauskette in Tallinn etwa bezahlt rund 100 Euro für den Service.

Einfache Netzwerke

Die Netzwerke werden je nach Anforderung individuell gestaltet. Bevorzugte Router oder Access-Points werden nicht eingesetzt. Sollten jedoch bereits Router vorhanden sein, auf denen die Linux-Distributionen DD-WRT oder Openwrt laufen können, dann wird kurzerhand das vorinstallierte Betriebssystem gegen das freie ausgetauscht.

Sämtliche Wife.ee-Router sind zur Administration per VPN mit einem CentOS-Server verbunden und die Netzwerke werden mit der freien Software Cacti überwacht. Die Clients selbst nutzen lediglich den lokalen Internetzugang der jeweiligen Einrichtungen.

Regierung unterstützt wenig

Zwar gilt Estland als technisch sehr modern - es genügt etwa der Personalausweis, um online an Wahlen teilzunehmen oder Behördengänge zu erledigen -, eine direkte Unterstützung der Regierung erhält Wifi.ee aber kaum.

Politiker lobten immer, wie gut und wichtig die Arbeit von Wifi.ee sei, es fließe jedoch "so gut wie kein Geld", sagt Haamer. Es gibt Ausnahmen. So bezahlte etwa die Stadtverwaltung von Tartu den Aufbau von 15 Hotspots in verschiedenen Cafés in der gesamten Stadt. Haamer sagt: "Die Stadt möchte dadurch attraktiver für Studenten werden". Auch bieten einige Behörden oder öffentliche Bibliotheken in Estland einen Netzzugang über Wifi.ee an, aber das seien eher Ausnahmen.

Die meisten vom Staat finanzierten und frei nutzbaren Internetzugänge befinden sich in den rund 400 Postämtern des baltischen Staates. Viele Ämter stellen Computer zum Surfen im Internet zur Verfügung, jedoch nur sehr wenige ein WLAN.

Bis vor vier oder fünf Jahren war auch in Deutschland die Nutzung von offenen WLANs in Cafés und Restaurants problemlos möglich. Abmahnungen und nicht zuletzt ein Urteil des Bundesgerichtshofs sorgen allerdings dafür, dass immer mehr offene Hotspots aus Angst vor Rechtsverstößen abgeschaltet werden.

Prominentestes Beispiel für diese Entwicklung ist das mit seinem offenen WLAN bekannt gewordene Café St. Oberholz in Berlin. Und dort, wo weiterhin ein WLAN zur Verfügung steht, bedarf es zum Beispiel eines personalisierten Zugangscodes, den Kunden nur erhalten, nachdem sie ihre Anschrift hinterlassen haben.

Haamer mag die Schilderung über die Situation in Deutschland gar nicht glauben. Zwar hatte auch Wifi.ee schon Probleme mit Spam auf Regierungsseiten. Doch die entsprechenden Einträge seien einfach gelöscht worden, da die Urheber nicht ermittelt werden konnten, versichert Haamer.

AGB reichen als Absicherung

Größere Probleme wie etwa Klagen habe das Team bisher noch nicht gehabt. Das Konzept der deutschen Störerhaftung kann Haamer nicht nachvollziehen: "Warum sollten die Betreiber eines offenen WLANs kontrollieren, was ihre Gäste im Internet machen?", fragt Haamer.

Dennoch versucht Wifi.ee, sich rechtlich abzusichern. Nutzer eines Hotspots müssen bei der Anmeldung die AGB bestätigen, die illegale Aktivitäten untersagen und auch die Nutzung von Peer-to-Peer-Protokollen wie Bittorrent verbieten. Haamer sagt: "Wer sich nicht daran hält, fliegt raus."

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Autor(en)/Author(s): Sebastian Grüner

Quelle/Source: Golem, 16.07.2012

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