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Friday, 5.07.2024
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In der baltischen Republik Estland finden heute Kommunalwahlen statt - und dabei ganz nebenbei auch eine Weltpremiere. Die Esten konnten ihre Stimme im Lauf der Woche erstmals auch online abgeben. Der Staatspräsident ist davon gar nicht begeistert.

Tallinn - Staatspräsident Arnold Rüütel ist kein Freund der Online-Wahlen. Er betrachtet sie als einen Verstoß gegen die Wahlgleichheit und verweigerte seine Unterschrift unter das betreffende Gesetz. Durch die Möglichkeit zur Stimmänderung seien die Nicht-Computer-Wähler den Interntetnutzern nicht mehr gleichgestellt. Das Verfassungsgericht müsse entscheiden, meinte der 77-Jährige. Die Richter in Tallinn aber stimmten ihm nicht zu.

"Auch bei diesem Verfahren hat jeder Wähler nur eine Stimme", sagt Marelle Lepik, Pressesprecherin des obersten Gerichts. In der Entscheidung hätten die Richter darauf hingewiesen, dass die neue Wahl-Möglichkeit schließlich nur die Wahlbeteiligung erhöhen und damit die Demokratie stärken solle.

Die Esten sind ein höchst fortschrittliches Volk, sie nennen ihr eigenes Land gern auch mal "E-stonia", um auf ihre Netzbegeisterung zu verweisen. Viele Esten erledigen ihre Steuererklärung im Internet oder füllen den Lottoschein per Handy aus. Der computerlesbare Personalausweis des Landes gilt bei sensiblen Angelegenheiten als digitale Unterschrift. "Heute gibt es in Estland mehr als 800.000 Personen, die über eine ID-Karte verfügen - wahlberechtigt sind gut eine Million", sagt Mikhel Pilving, der im Tallinner Riigikogu (Reichstag) die Abteilung Wahlen leitet, der dpa.

Wählen, so oft man will

Das estnische "e-voting" funktioniert ganz einfach: An den Computer setzen, den Personalausweis durch ein Lesegerät ziehen und die spezielle Wahl-Internetseite aufrufen. Dort werden die Kandidaten des Wahlkreises angezeigt, und man entscheidet per Mausklick und bestätigt die Wahl mit einem PIN-Code.

Der wichtigste Unterschied zu den Offline-Wahlen: Der Wähler kann seine Entscheidung überdenken und bis Wahlschluss beliebig oft ändern. Oder er kann später doch noch in ein herkömmliches Wahllokal gehen und dort sein Kreuz machen - dann wird die "e-Stimme" annulliert. Der Testlauf ist schon vorüber: Die Online-Wahlmöglichkeit gab es nur von Montag bis Mittwoch. Und sie war weniger populär, als man gehofft hatte: Etwas weniger als 10.000 Wähler machten Gebrauch davon. Das Wahlkommittee war dennoch zufrieden mit dem reibungslosen Verlauf.

Eine repräsentative Umfrage im Vorfeld hatte die Befürworter der neuen Wahlmöglichkeit auf mehr hoffen lassen: 21 Prozent der Befragten gaben an, per Internet wählen zu wollen, und auch ein Trend zu höherer Wahlbeteiligung wurde verzeichnet.

In Tallinn wurden während der Probeläufe sogar Hacker eingestellt, um die Sicherheit der Methode zu testen. Als Folge der so gewonnenen Erkenntnisse waren wichtige Teile des Systems nicht mehr miteinander vernetzt, die Server stehen unter Polizeischutz und der Computer, an dem die "e-Stimmen" am Ende gezählt wurden, ist nicht ans Internet angeschlossen.

Knapp 30 Länder ließen die Premiere durch Experten beobachten lassen, darunter auch die Schweiz und Österreich - auch wenn viele die Netzwahlen aus Sicherheitsgründen immer noch skeptisch sehen.

In den US-Staaten Michigan und Arizona fanden schon jeweils einmal Vorwahlen der Demokraten auch online statt, und in Genf in der Schweiz werden Referenden seit 2003 auch im Netz abgehalten. "E-stonia" hat mit der landesweiten Online-Kommunalwahl dennoch eine Weltpremiere geschafft.

Quelle: Spiegel online, 16.10.2005

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