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Friday, 5.07.2024
eGovernment Forschung seit 2001 | eGovernment Research since 2001
Beim Aufbau seines demokratischen Regierungssystems im Netz hat sich Estland Messlatte besonders hoch gelegt. Mit einem Riesensatz wurden die Bürger ins Internet-Zeitalter geholt - und nun soll die erste offizielle Online-Wahl folgen.

Wählen vom eigenen Computer aus: Estland wagt als erstes EU-Land bei offiziellen Wahlen das Experiment des "E-Voting". Bei der Kommunalwahl in der estnischen Hauptstadt Tallinn am 16. Oktober 2005 ist es so weit: Jeder Bürger benötigt einen Chipkarten-Personalausweis, die so genannte ID-Karte mit digitaler Signatur, ein Chipkarten-Lesegerät und einen Computer mit Internetzugang, um von einem beliebigen Ort aus an der Abstimmung teil zu nehmen. Der Zeitraum, in dem Online-Stimmen registriert werden, ist auf den sechsten bis vierten Tag vor dem eigentlichen Wahldatum begrenzt. Am Wahltag selber steht dann all denjenigen, die nicht über das Internet wählen möchten, nach wie vor die traditionelle Wahl an den Wahlurnen zur Verfügung. Endgültig hatte das estnische Parlament diese Regelung am 28. Juni 2005 mit einer hauchdünnen Mehrheit beschlossen, nachdem Präsident Arnold Ruutel zuvor zweimal seine Unterschrift verweigert hatte. 52 von insgesamt 101 Abgeordneten stimmten für das neue E-Voting-Gesetz. 32 Parlamentarier lehnten es auch in der dritten Lesung noch ab. Nach wie vor ist die Wahl per Online-Stimme aber nicht bis ins letzte Detail geklärt. Uneinig sind die Parlamentarier sich beispielsweise noch, ob eine einmal abgegebene Online-Stimme innerhalb eines gewissen Zeitrahmens wieder korrigiert werden kann. Insgesamt wird die Kommunalwahl in Tallinn als Generalprobe für die im Jahr 2007 festgesetzte Parlamentswahl in Estland gesehen.

Estlands "papierlose Regierung" marschiert voran

Doch nicht erst mit seiner Gesetzgebung zum E-Voting ist Estland in die Führungsriege derjenigen EU-Länder aufgestiegen, die das E-Government propagieren. Mart Laar war seit 1992 mehrfach Premierminister von Estland und setzte sich aktiv für den Aufbau eines vernetzten Regierungs- und Verwaltungsapparates ein. Die estnische Regierung leistete weltweite Pionierarbeit, als sie im August 2000 ein elektronisches Dokumentationssystem einführte und begann, ihre Kabinettssitzungen online abzuhalten. Estland bekam damit eine "papierlose Regierung", deren Minister vor Bildschirmen statt Aktenbergen sitzen, Dokumente online übermitteln und auch an Sitzungen teilnehmen können, wenn sie Termine außerhalb der Hauptstadt wahrnehmen müssen. Darüber hinaus werden sowohl die Reden der Parlamentarier als auch Gesetzesentwürfe und Beschlüsse für alle Bürger zugänglich ins Internet gestellt (www.riik.ee). Laar sieht in diesem System eine "neue Form der Transparenz".

"Täna Otsustan Mina" oder "Heute entscheide ich"

E-Government beschränkt sich in Estland aber keinesfalls auf die Regierung, denn die Esten sollen Arbeit und Ergebnisse des Kabinetts nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern dürfen sich aktiv beteiligen. Im Sommer 2001 rief die Regierung die Webseite "Täna Otsustan Mina" ins Leben, was so viel heißt wie "Heute entscheide ich". Auf diesem Internet-Portal können die Bürger direkt Stellung nehmen, eigene Vorschläge für Gesetze oder Richtlinien machen, darüber abstimmen und diese dann als offizielle Entwürfe an die Regierung weiterleiten. Nach Schätzungen des estnischen Außenministeriums fließen ungefähr fünf Prozent aller Ideen in Gesetzesänderungen ein. Auf in die digitale Republik E-Estland

Die Esten selbst bezeichnen ihre Republik wegen ihrer schnellen Fortschritte in Sachen vernetzter Gesellschaft gerne auch als E-Estland. Drei Viertel aller erwachsenen Esten verfügen über einen Internet-Anschluss. In der Altersklasse der 10- bis 24-Jährigen sind sogar 90 Prozent online. Internet Banking und die elektronische Steuererklärung sind seit längerem akzeptiert.

Dass die estnische Gesellschaft jedoch so weit digitalisiert werden konnte, dazu verhalf der "Tigersprung". Schon in den 1990er Jahren wurde in Estland die Bedeutung von Medienkompetenz erkannt. Zwischen 1997 und 1999 wurde mit staatlichen und EU-Fördermitteln das Programm "Tiigrihüpe" (Tigersprung) umgesetzt, um die Bevölkerung fit zu machen für die Informationsgesellschaft. Alle Schulen bekamen Computer und wurden vernetzt, die Lehrer erhielten Lehrgänge und jedem Bürger wurde der freie Zugang zum Internet garantiert. Wer selbst nicht über Internet verfügt, kann seither einen der rund 700 öffentlichen Internetpunkte ansteuern, die im Rahmen des "Tigersprungs" und seines Nachfolgeprojekts "Look @ world" eingerichtet wurden.

Autor: Britta Eisenhuth

Quelle: tagesschau, 12.09.2005

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