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Wednesday, 3.07.2024
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Russlands Kraftakt für biometrische Pässe

Lange haben Russlands Bürger Abschied von ihren sowjetischen Pässen mit Hammer und Sichel auf der ersten Umschlagseite genommen. Zwölf Jahre gingen ins Land, bis auch jeder zwischen Ostsee und Pazifik sein neues, mit dem doppelköpfigen Adler verziertes Personaldokument in den Händen hatte. Doch kaum hat man sich an den dunkelroten Pass gewöhnt, soll er schon wieder ersetzt werden.

Freilich nicht für alle, sondern nur für die russischen Bürger, die ins Ausland fahren. Deren Reisepässe sollen künftig dem ID-3-Standard der Internationalen Organisation für Zivilluftfahrt (ICAO) entsprechen und somit kleine Wunderwerke der Elektronik werden, verspricht Arkadij Tratschuk, Generaldirektor der Staatsdruckerei "Goznak". Er muss es schließlich wissen, da sein Unternehmen federführend bei der Einführung der neuen Dokumente ist.

Erste Exemplare bis Ende des Jahres

Das wohl schwierigste Problem bei den Entwicklungsarbeiten war seinen Worten zufolge, eine optimale Verbindung von modernsten Informationstechnologien mit den vorhandenen polygraphischen Möglichkeiten zu finden. Auch dank der Erfahrungen deutscher und anderer westeuropäischer Firmen haben die "Goznak"-Spezialisten nun eine gefunden. Und die ersten 150.000 Versuchsexemplare, das Ergebnis ihrer Anstrengungen, sollen noch in diesem Jahr gedruckt werden. Weitere 350.000 sind bis Ende 2006 geplant.

Die Vorbereitungen dazu laufen auf Hochtouren, obgleich noch so manche Detailfrage offen ist. Klar ist bisher, dass eine Seite aus Plastikfolie alle Personaldaten enthalten wird. Diese besitzt dafür einen entsprechenden 32-Kilobyte-Mikrochip und eine Antenne, die unterschiedlichen Temperatur-, elektrischen und funkelektronischen Einwirkungen standhalten muss.

Ob auch Iris gespeichert wird ist unklar

Nach Aussagen von Arkadij Tkatschuk wird das Foto des Passinhabers zweidimensional und in Schwarz-weiß per Laser auf die Folie graviert. Auf dem Chip werden die üblichen persönlichen und körperlichen Angaben (Größe, Haar- und Augenfarbe), ein digitales Foto in Farbe und eventuell die Abdrücke beider Zeigefinger abgespeichert. Ob es auch eine digitale Abbildung der Iris geben wird und wann, ist noch offen. Genauso wie die Ausstellungsgebühren, die nach vorläufigen Schätzungen im Bereich von 25 bis 50 Euro liegen dürften. Für den russischen Steuerzahler keine geringe Summe. Denn er bezahlt ohnehin das gesamte mit bisher rund 400 Millionen Euro veranschlagte Programm zur Herstellung und Einführung der digitalisierten Pässe.

Die neuen Dokumente sind dabei aber nur die Spitze eines riesigen Eisberges. Denn damit das ganze Programm richtig funktionieren kann, müssen beispielsweise die derzeit in Russland vorhandenen 18 föderalen Datenbanken beispielsweise vom Innenministerium und Inlandsgeheimdienst FSB untereinander vernetzt werden. Gleiches gilt für die seit 1998 existierenden Fingerabdruck-Dateien. Hinzu kommt die Ausrüstung der 400 Grenzübergangsstellen und rund 8000 Pass-Ausgabestellen mit digitalen Fotokameras, Lesegeräten und Fingerabdruck-Scannern. Nicht zu vergessen sind ebenfalls die nötigen Leitungsnetze für eine schnelle und sichere Datenübertragung. Experten rechnen deshalb schon jetzt damit, dass die erforderlichen Ausgaben mindestens um ein fünffaches steigen werden.

Zweifel an Sicherheit der Zentraldatei

Noch sind die biometrischen Pässe kein Gesprächsthema in der russischen Öffentlichkeit. Dennoch melden Kenner der Materie bereits leise Zweifel an der Sicherheit der zu schaffenden Zentraldatei an. So fragte die Moskauer Zeitung "Nowyje Iswestija": "Wo ist die Garantie, dass die neue Superdatenbank über alle Bürger Russlands nicht schon morgen auf Moskauer Märkten feil geboten wird, wie das regelmäßig mit Daten der Verkehrspolizei oder des Innenministeriums passiert?"

Und auch Menschenrechtler und Anhänger der russisch-orthodoxen Kirche sind skeptisch. Letztere hatten sich im Zusammenhang mit der Einführung von individuellen Steuernummern als leidenschaftliche Gegner einer digitalen Erfassung der Bevölkerung Russlands entpuppt. Doch der Menschenrechtsbeauftragte der Russischen Föderation, Wladimir Lukin, betont, dass die biometrischen Angaben in den künftigen Ausweisen nicht mehr als eine Fixierung der individuellen Merkmale des jeweiligen Menschen sein. Außerdem würden solche Dokumente erlauben, erfolgreicher solch gefährliche Verbrechen wie Terrorismus, Geiselnahmen sowie Kinder- und Frauenhandel zu bekämpfen. Anfang 2007 sollen die biometrischen Pässe im großen Maßstab eingeführt werden.

Autor: Roland Fritzsche

Quelle: ZDF heute, 31.10.2005

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