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Monday, 8.07.2024
eGovernment Forschung seit 2001 | eGovernment Research since 2001
Deutsche Verbraucher stehen der allgegenwärtigen Informationstechnik, die insbesondere mit Hilfe von RFID-Chips und Sensoren arbeitet, insgesamt passiv und unentschlossen gegenüber. Die ausgemachte Grundstimmung hat dabei aber "eine eher positive als negative Tendenz". Dies ist das Kernergebnis einer Umfrage, welche die Wochenzeitung Die Zeit gemeinsam mit der Berliner Humboldt-Universität im Rahmen des Forschungsprojekts Taucis (Technikfolgen-Abschätzung Ubiquitäres Computing und Informationelle Selbstbestimmung) im Winter durchführte. Nützlichen Anwendungen stehen die Befragten beim so genannten Ubiquitious Computing laut dem Studienbericht (PDF-Datei) offener gegenüber, wobei sie aber bei Szenarien in den eigenen vier Wänden oder am Arbeitsplatz argwöhnischer sind als im öffentlichen Raum.

Besonders deutlich wird die Angst vor einem Kontrollverlust beim Einsatz von RFID-Tags auf Einzelprodukten im Handel. Hier sind 73 Prozent der Befragten der Ansicht, dass die Funketiketten am Ladenausgang über eine Kill-Funktion vollständig vernichtet werden sollten. Alternative Verfahren, mit denen die Chips nur deaktiviert oder mit einem Passwortschutz versehen werden, lehnte die Mehrheit der Teilnehmer an der Studie ab. Bedienungsschwierigkeiten erwarten sie dagegen nicht mit der neuen Welt des geplanten Internet der verchipten Dinge: Die Beurteilung der Einfachheit aller präsentierten Anwendungen ist laut der Analyse fast durchweg positiv.

An der Befragung zu unterschiedlichen Szenarien der allgegenwärtigen Informationsverarbeitung und allgemeinen Datenschutzaspekten nahmen über 8000 Personen teil. 4744 Teilnehmer füllten die Fragebögen im Internet bis zum Ende aus und konnten in die vorliegende Analyse mit einbezogen werden. Die Teilnehmergruppe erwies sich jedoch als zu 80 Prozent männlich, kaufkräftig und überdurchschnittlich gebildet, sodass die Forscher 200 weitere Personen zusätzlich auf Papier befragten. Dafür wählten sie eine Stichprobe, die der soziodemographischen Struktur der deutschen Bevölkerung näher kam.

Insbesondere die in der Umfrage vorgestellte Selbstwartungsfunktion von Autos mit automatischer Werkstattanmeldung führte zu einer durchweg positiven Bewertung. Eine Bremsautomatik im Auto hingegen, die bei Geschwindigkeitsüberschreitungen eingreift, wird als eher unnütz empfunden. Ein sich automatisch anpassender Arbeitsplatz löste eher negative emotionale Reaktionen hervor. Den viel zitierten intelligenten Kühlschrank sahen die Befragten im Durchschnitt ebenfalls als ein hohes oder sehr hohes Datenschutz-Risiko an. Beim Vergleich der beiden Stichproben zeigte sich, dass die Bewertung der Szenarien durch die auf Papier befragten Personen durchweg besser war. Laut Papierstudie fühlten sich auch 68 Prozent der Befragten zumindest ausreichend durch Datenschutzgesetze geschützt, während es bei den Internet-Teilnehmern mit 49 Prozent deutlich weniger waren. Von den online Befragten gingen ferner 75 Prozent davon aus, dass beim Einkauf erhobene Daten noch an mindestens drei weitere Stellen in Deutschland weitergeleitet werden. Bei der Kontrollgruppe waren es nur 61 Prozent.

Die Forscher vermuten generell, dass Konsumenten, die weniger über die komplexen Zusammenhänge bei der Verarbeitung persönlicher Daten wissen, auch bei einer potenziellen Beeinträchtigung ihrer Privatsphäre eher zur Nutzung ubiquitärer Rechnerdienstleistungen bereit sind. Die Nutzung der Technologie "zur Optimierung einer weitestgehend intransparenten Ungleichbehandlung" etwa über das Scoring zur Kreditwürdigkeitsprüfung sollte von Firmen aber vermieden werden, halten die Wissenschaftler fest. Sonst drohe ein "Privacy-Backlash". Verbraucher hätten "moralisch hohe Erwartungen an Unternehmen im Umgang mit Kundendaten". Eine Diskriminierung von Verbrauchern sei nicht gewünscht.

Als Schlüsselelement für die Akzeptanz von RFID und vergleichbaren Techniken fürs Ubiquitous Computing sehen die Autoren der Studie das Eingehen auf Ängste vor einem Kontrollverlust. Dieser könne in einer Aufgabe der informationellen Selbstbestimmung liegen, wenn etwa RFID-Lesegeräte unbemerkt auf Chips in persönlichen Gegenständen wie etwa auch den neu eingeführten Pässen zugreifen könnten. Zum anderen könne aber auch das "autonome Handeln von intelligenten Objekten zu einem physischen Kontrollverlust führen". Hier verweisen die Forscher vor allem auf Anwendungen, die eine Kontrolle entfernter Objekte, Infrastrukturen oder Personen in Echtzeit erlauben. Diese würden "in besonderem Maße zu einem Überwachungsproblem" führen und eine "gesellschaftspolitische Debatte von großer Komplexität" erzeugen. Die Wissenschaftler empfehlen daher, "die letztendliche Kontrolle über die Systeme beim Nutzer zu belassen".

Als überraschend empfanden es die Studienleiter, dass beide Befragungsgruppen die bereits bestehende, technisch mit bedingte Überwachungsdichte als "deutlich geringer einschätzen, als dies tatsächlich der Fall ist". So glaubten die Teilnehmer im Durchschnitt, dass hierzulande jedes Jahr etwa 10.000 Bürger von Telefonüberwachungen betroffen seiein. Tatsächlich gibt es in Deutschland jedoch momentan rund 30.000 Anordnungen zur Telefonüberwachung pro Jahr. "Nimmt man an, dass von jeder Anordnung im Schnitt sechs Personen betroffen sind, so hätte eine realistische Schätzung bei ca. 200.000 liegen müssen", konstatieren die Forscher. Ebenso schätzten die Befragten die Zahl der Videokameras in England, die für die Überwachung öffentlicher Plätze eingesetzt werden, meist deutlich niedriger an als die kolportierten vier Millionen.

Autor: (Stefan Krempl) / (jk/c't)

Quelle: Heise online, 16.03.2006

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