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Monday, 8.07.2024
eGovernment Forschung seit 2001 | eGovernment Research since 2001
Abwicklung von amtlichen Vorgängen per Internet in Deutschland noch mangelhaft - Fairfax County in Virginia als Vorbild

Der Raum mutet an wie eine Mischung aus einem zu klein geratenen Parlamentssaal und einem Fernsehstudio. David Green steht in Shorts an einem Rednerpult und spricht zu einer Handvoll Anzugträger, die an einem großen halbrunden Tisch vor ihm sitzen und scheinbar gebannt zuhören. Sie sind die Leitung des Gemeinderates von Fairfax County im US-Bundesstaat Virginia. David Green ist Bürger von Fairfax und bringt seine Vorbehalte gegen den Bau eines Einkaufszentrums vor. Den Termin für seine fünfminütige Einlassung hat er im voraus über die Internet-Seite von Fairfax County angemeldet. Die jetzige Anhörung wird von Kameras aufgenommen und live über Internet und einen gemeindeigenen Kabelsender übertragen.

Fairfax County sei eine der weltweit führenden "elektronischen Regierungen" (E-Regierungen, E-Government), bescheinigten die Gesellschaftsforscher der Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh bereits 2002. Allgemein bezeichnet E-Government Prozesse und Techniken zur Kommunikation zwischen Behörden und Bürgern. Der einfache Austausch durch moderne Informationstechnik soll die Behördenarbeit verbilligen, dem Bürger schnelle Information liefern und ihm zeitraubende Behördengänge ersparen.

Neben den Bertelsmännern versuchen eine Reihe von Organisationen und Initiativen der Vision von der E-Regierung und E-Verwaltung auch in Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen. Genaue Zahlen darüber, wie viele Städte in Deutschland solche E-Bestrebungen verfolgen, gibt es nicht. Doch Kommunen mit über 100 000 Einwohnern sind zum allergrößten Teil dabei.

Aber entsprechende Projekte nehmen sich bisher vergleichsweise bescheiden aus. Von der Steuererklärung über den Bebauungsantrag bis zu öffentlichen Ausschreibungen sind Formulare zwar bereits zum Download von den offiziellen Web-Seiten erhältlich. Was in deutschen Ratssälen entschieden wird, ist für viele Bürger ebenfalls elektronisch einsehbar. Und auch Stadtpläne, Nahverkehrsroutenplaner, Veranstaltungskalender oder Wettervorhersage gehören zum Angebot der Infoportale größerer Städte.

"Bislang beschränken sich die Online-Aktivitäten der Gemeinden jedoch zumeist auf die Bereitstellung von Informationen", sagt Katharina Ahrens von der E-Demokratie-Initiative D21 mit Sitz in Berlin. "Die weitere Entwicklung, insbesondere zu mehr Interaktion, scheint gegenwärtig auf der Stelle zu treten. Das liegt sicherlich auch an der Finanzlage der Gemeinden." Die Entgegennahme von Bürgerpetitionen, die Beantragung von Hundemarken oder die Bezahlung von Parkknöllchen per Internet wird also noch warten müssen.

In Fairfax County sind diese Dienste selbstverständlich. Und nicht nur die. Wer auf den Straßen von Fairfax streunende Hunde aufliest, kann sie am nächsten Internet-PC, in Postämtern oder Geschäften mit E-Kiosken online an die Verwaltung - und damit das örtliche Tierheim - melden. Um den Abgleich mit als entlaufen gemeldeten Vierbeinern zu erleichtern, kann der Finder auch gleich per Klick Größe, Gewicht, Fell-, Augen- und Ohrenfarbe angeben. Die Tieradoption über die County-Internet-Seite ist ebenso möglich wie die Buchung des nächsten Abschlags auf den Golfplätzen der Gegend. Und wer kaputte Straßenschilder findet, kann online ein Reparaturantragsformular ausfüllen.

"Einige interaktive Elemente haben wir auch schon untergebracht", sagt Horst Ulrich von der Redaktion der Internet-Seite der Bundeshauptstadt berlin.de. Mit seinen Anstrengungen zur E-Demokratie ist das Land Berlin führend unter deutschen Großstädten. So steht es im neuesten Ranking der Initiative eParticipation.

"Wir haben unter anderem für die Neugestaltung des Alexanderplatzes die Bürger in einem speziellen Onlineforum um deren Meinung gebeten", erläutert Ulrich. "Ein Vollzeitredakteur betreut ausschließlich diese Foren und leitet die Kommentare auch an die verantwortlichen Stellen in der Berliner Verwaltung weiter."

Über das, was dort mit den Eingaben der Bürger geschieht, gebe es jedoch kaum Rückmeldung, gesteht Ulrich ein. Darin sieht er auch einen der Hauptgründe für die bislang recht dürftigen Teilnehmerzahlen der Foren. "Die Bürger können in den Diensten der interaktiven Verwaltung bislang noch keinen Mehrwert für sich ausmachen." Neben dem fehlenden Geld gibt es nach Ansicht von Ulrich jedoch ein grundsätzliches Problem. Die Menschen nutzen Computer, Internet und Onlinedienste zwar für einen Großteil ihrer Kommunikation oder Geschäfte. Dennoch hätten sie diese Dienste noch nicht als neue Kulturtechnik akzeptiert, so Ulrich.

Dabei zeigt das Beispiel aus Virginia, daß eine gutfunktionierende E-Regierung nicht nur auf Anliegen der Bürger reagiert, sondern auch das Entstehen von Interessengemeinschaften unter den Bürgern fördern kann - mit bisweilen skurril anmutenden Auswüchsen. So können sich Einwohner von Fairfax, die nach dem Tod eines geliebten Haustieres zu stark traumatisiert sind, über das kommunale Internetportal für gemeinsame psychologische Betreuungen anmelden.

Autor: Ranty Islam

Quelle: Die Welt, 06.06.2006

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