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Mittwoch, 26.11.2025
Transforming Government since 2001
E-Government ist innerhalb und außerhalb der Verwaltung häufig immer noch nur ein Thema weniger Spezialisten. Auch in den Verwaltungswissenschaften, der dazugehörigen Basisdisziplin zu E-Government, findet das Thema, verglichen mit der Relevanz in der Praxis noch wenig Beachtung. In den letzten Jahren hat sich zwar viel in Sachen E-Government getan, jedoch – so die These – ist das Thema heute in der Breite kaum in der Verwaltung und vielfach auch in der Verwaltungsführung angekommen, geschweige denn verinnerlicht worden. Feststeht jedoch, dass es neuer Kompetenzen bedarf, um E-Government zu realisieren und in den neuen Strukturen zu arbeiten. Unter diesen Kompetenzen werden Fähigkeiten, Fertigkeiten, Einstellungen, Erfahrungen und Wissen verstanden, die über die reine Bedienfähigkeit von IT-Anwendungssystemen hinausreichen. Zwar ist heute generell eine allgemeine Medienkompetenz in der Verwaltung vorhanden, aber es fehlt vielfach an Strategie- und Führungskompetenzen im Sinne einer „eTransformationen“. Allzu oft wird daher auch das Thema E-Government auf technische Fragen reduziert, gern auch auf CIOs oder eGovernment-Beauftragte übertragen, so dass sich Führungskräfte des Themas leicht „entledigen“ können, da es ja jetzt einen „Zuständigen“ gibt. Soll jedoch die Modernisierung im Kontext von E-Government im Sinne einer Transformation gelingen, sind neuartige Organisations- und Arbeitskompetenzen für alle Beschäftigtengruppen (Führungskräfte, Sachbearbeiter, Front-Office-Mitarbeiter etc.) gefragt, die jedoch bisher weder etabliert und noch nicht einmal ermittelt sind.

Niemand kann bisher sagen, welche Anforderungen und Kompetenzen für die Beschäftigten mit den neuen Organisationsformen einhergehen und auch künftig von Bedeutung sein werden. Insbesondere die Arbeitsorganisation ist von massiven Änderungen betroffen, da hier die Informationstechnik zuerst wirkt. Hieraus ergeben sich wiederum Rückwirkungen auf Führungskonzepte, die auch in neuen elektronischen Strukturen Veränderungen unterworfen sind. Dies ist bereits schon in der Praxis zu beobachten: Beispiele für die neuen IT-basierten Organisationskonzepte sind Shared Service Center, Einheitliche Ansprechpartner gemäss der EU-Dienstleistungsrichtlinie, Call Center (Stichwort: einheitliche Behördenrufnummer 115), Virtuelle Organisationen, Modularisierung, um nur einige neuere Entwicklungen zu nennen. Wie auch immer die neuen Organisationsmodelle ausgestaltet sind, sie führen in der praktischen Umsetzung nicht selten zu mehr Spezialisierung, Automatisierung, Standardisierung, Formalisierung und kleinteiliger Arbeitsteilung. Dadurch besteht auf der Arbeitsebene für die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes die Gefahr, dass ganzheitliche Arbeits- und Sinnzusammenhänge (= Verlust des Verständnisses der in den Fachanwendungen verborgenen Arbeitsprozesse) verloren gehen. Es droht ein neuer ungezügelter Taylorismus, der in der Praxis häufig mit neuen verhaltenskontrollierenden Controlling-Systemen einhergeht. Informationstechnik durchtränkt in hohem Maße die öffentliche Verwaltungsarbeit, und nicht selten wird das realisiert, was technisch möglich ist, statt von einer sozio-technischen und damit einer am Menschen orientierten Gestaltung von Arbeitssystemen auszugehen.

An der Entwicklung der neuen Organisationsarchitekturen des Staates sind i.d.R. maßgeblich auch private Unternehmensberater beteiligt, die u.U. über Erfahrungen mit diesen Organisationskonzepten im Privatsektor verfügen. Diese Erfahrungen – soweit vorhanden – sind auch für die Projektumsetzung im öffentlichen Dienst wichtig, reichen jedoch in der Praxis häufig nicht aus. Denn auch im Privatsektor mangelt es diesen neuen Organisationssystemen an einer ganzheitlichen Gestaltung der Arbeitsorganisation. Damit werden Modelle auf den öffentlichen Sektor übertragen, die schon in ihrem bisherigen Anwendungskontext in der Privatwirtschaft nur begrenzt gut funktionieren. Mit anderen Worten, ungelöste Probleme bleiben auch nach einem Transfer weiterhin ungelöst; u.U. verstärken sie sich sogar, weil die Kontextbedingungen in der öffentlichen Verwaltung (wie die Vielfalt öffentlicher Aufgaben) andere sind. Das stellt die Organisationsmodelle an sich nicht in Frage, sondern zeigt auf, dass zusätzlicher Gestaltungsbedarf für die Arbeitsorganisation besteht. Dieses Problem ist den Akteuren, die an der Entwicklung und Umsetzung der neuen Organisationsmodelle beteiligt sind, häufig gar nicht bewusst. Auch wenn es ihnen bewusst wäre, gibt es derzeit in Projekten weder Zeit noch Budget, um auf diese Probleme vorab in angemessener Tiefe einzugehen. Später, wenn die neuen Organisationsstrukturen umgesetzt sind, kann nur noch unter hohen Aufwendungen nachkorrigiert bzw. nachgebessert werden. Die Chance für eine proaktive Gestaltung ist dann verspielt. Oder pointiert formuliert: „Die Messen sind gesungen.“

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Autor(en)/Author(s): Prof. Dr. Tino Schuppan

Quelle/Source: government2020, 03.05.2010

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