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Die IT-Dienstleister und Softwarehersteller in Deutschland bereiten sich auf Millionenaufträge durch Kommunen vor. Eine Modernisierung des Rechnungswesens in Städten und Gemeinden dürfte enorme Computerumstellungen und Mitarbeiterschulungen mit sich bringen. "Wir schätzen das Marktvolumen allein bei den Kommunen auf einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag", sagte Rainer Rühle, im Vertrieb bei dem IT-Dienstleister Siemens Business Services (SBS) für öffentliche Verwaltungen zuständig. Auch Anbieter wie IBM und CSC haben eigene Einheiten für dieses Thema.

Die deutschen Kommunen stehen vor einer Herkules-Aufgabe. Das herkömmliche Buchungsverfahren, die Kameralistik, soll in den nächsten Jahren durch ein betriebwirtschaftliches Rechnungswesen abgelöst werden. Diesen Grundsatzbeschluss hat die Innenministerkonferenz Ende 2003 gefasst. Die Umsetzung bleibt den Bundesländern überlassen. Sie haben die Wahl zwischen einem Rechnungsstil der Privatwirtschaft, der so genannten Doppik, und einer Erweiterung der Kameralistik. "Es wird aber keine Wahl geben, das Alte beizubehalten", sagte Beatrice Dott von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt). Die KGSt wird von Kommunen getragen und hilft bei der Verwaltungsmodernisierung.

Umstellung auf modernes Rechnungswesen

"Die Kommunen wissen heute oft nicht, was es wirklich kostet, einen Reisepass auszustellen oder wie viel die U-Bahn tatsächlich Wert ist", sagte Rühle. Die Kameralistik erfasst nur Einnahmen und Ausgaben. Welche Ressourcen etwa beim Ausstellen eines Reisepasses verwendet werden - also wie viel Arbeitszeit, Computernutzung oder Papier der Prozess braucht - wird nicht erfasst. Das soll sich ändern. "Die Doppik erweitert die reine Einnahmen-Ausgaben-Sicht der Kameralistik um eine ganzheitliche Wertbetrachtung", sagte Markus Hövekamp, beim IT-Beratungsunternehmen CSC für Doppik zuständig.

IT-Dienstleister haben das Thema für sich entdeckt. "Das ist ein Zukunftsthema, auf das wir uns heute vorbereiten", sagte Michael Pittelkow von der Unternehmensberatungssparte bei IBM Deutschland.

Genaue Zahlen über das Marktvolumen gibt es nicht. Allerdings dürfte sich der Aufwand im mittleren dreistelligen Millionen-Euro-Bereich bewegen. In Hannover liegen die Kosten für die kürzlich in Auftrag gegebene Umstellung bei rund 5 Mio. Euro. In Deutschland gibt es etwa 80 Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern. Das ergibt ein Investitionsvolumen von rund 400 Mio. Euro. "Die Hauptaufgabe ist es, das Personal zu schulen", sagt Birgit Frischmuth, Referentin im Dezernat Finanzen des Deutschen Städtetags. Rund 10 bis 15 Prozent der Mitarbeiter, schätzt sie, müssen geschult werden. Denn nicht nur Mitarbeiter der Kämmerei, sondern etwa auch Führungskräfte und Politiker beschäftigen sich mit den Finanzen.

Experten rechnen mit einem Übergang bis 2010

Der Zeitpunkt für die Umstellungen hängt von den Bundesländern ab. Vorreiter ist Nordrhein-Westfalen. Dort müssen die Kommunen vermutlich bis Ende 2007 auf Doppik umstellen. Andere Länder gehen es lockerer an. "Bis 2010 werden wir flächendeckend Doppik im Einsatz haben", schätzt Hövekamp. Frischmuth geht von 2012 bis 2015 aus.

Das betrifft auch die Software. "Die Frage nach der richtigen Software stellt sich neu", sagte Hövekamp. Gut positioniert ist neben Spezialanbietern wie Infoma aus Ulm vor allem der Softwarekonzern SAP. Dem IT-Dienstleister SBS zufolge haben schon 40 Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern SAP-Systeme im Einsatz. Doch das reicht für Doppik nicht aus. "Auch bestehende SAP-Installationen müssen neu durchdacht werden", sagte Michael Ritter, der bei SBS die kommunalen Projekte leitet.

Viel Zeit dürfen sich Kommunen nicht lassen. Je nach Größe dauert die Umstellung etwa ein bis drei Jahre. "In Nordrhein-Westfalen läuft die Umstellungswelle schon", sagte Ritter.


Umstellung steht an

  • Kameralistik: Traditionell erfassen Kommunen nur Einnahmen und Ausgaben. Rückstellungen zum Beispiel für Pensionen oder der Wert von Grundstücken bleiben außen vor. Das System ist wenig transparent.

  • Doppik: Das kaufmännische Rechnungswesen erfasst beispielsweise auch Kosten für bestimmte Dienstleistungen. Die Kommunen wissen dann künftig, was zum Beispiel die Ausstellung eines Reisepasses kostet.

  • Zeitplan: Die Innenministerkonferenz hat die Umstellung von Kameralistik auf modernes Rechnungswesen beschlossen. Die Umsetzung erfolgt durch die Länder. Experten rechnen mit einem Übergang bis 2010.
Autor: Martin Ottomeier

Quelle: Financial Times Deutschland, 17.08.2004

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