Beide Dokumente sollen im Dezember von den Staatschefs der Länder unterzeichnet werden; noch sei man weit entfernt von einem unterschriftsreifen Dokument, wie der Vertreter des Gastgeberlandes Schweiz in der mehrfach unterbrochenen Abschlusssitzung betonte. "Wir sind noch nicht glücklich mit dem Dokument", so das Schweizer Delegationsmitglied. Dringend sollen nun das offizielle WSIS-Büro unter dem Präsidenten Adama Samassékou und eine spezielle Arbeitsgruppe an den Dokumenten weiterarbeiten.
Geduldsfaden
Verfahrensdebatten darüber, wie stark die Arbeitsgruppe die jetzt vorliegenden Entwürfe verändern darf, beschäftigten die Delegierten bis weit in den Freitagabend hinein. Mehrfach mussten die Dolmetscher um eine weitere Runde von Überstunden gebeten werden. WSIS-Präsident Samassékou wurde es zwischendurch denn auch zu bunt: "Es gibt in diesem Prozess keinerlei versteckte Agenda", verteidigte er die Arbeit des Büros und warb um das Vertrauen der Delegierten. Allein mit der sinnvollen Redaktion der in Genf entstandenden Patchworkdokumente dürfte das Büro bis zu der von der UNESCO ausgerichteten Zwischenkonferenz in Paris beschäftigt sein. Aktionsplan und allgemeine Erklärung überschneiden sich noch in einer Vielzahl von Punkten.
Von der "Global Digital Compact"-Kampagne -- zur besseren Zusammenarbeit zwischen Regierung, Unternehmen und Zivilgesellschaft -- einem "ICT-Development-Index" und einem geplanten "Best-Practice/Success-Story-Handbuch" abgesehen wirkt besonders der Aktionsplan noch überaus allgemein. Über weite Strecken versammelt er vor allem die einschlägigen Vokabeln der Informationsgesellschafts-Debatte, von E-Government über E-Health und E-Business bis zu E-Learning und E-Literacy. Einige Sondervorschläge für eine Verbesserung des Einsatzes von Kommunikationstechnologien auf dem afrikanischen Kontinent beinhalteten etwa denVerzicht von Zollabgaben auf ICT-Güter bis zum zweiten WSIS-Gipfel, der 2005 in Tuns stattfinden soll.
Weiße Flecken
Das Thema Sicherheit, für dessen Aufnahme in die Agenda sich ein Vertreter der US-Delegation noch einmal in einer der Plenarsitzungen bedankte, ist zwar noch prominent vertreten. Doch die Idee einer gemeinsamen Erklärung für Sicherheit in den Netzen ist erst einmal einem Konzept einer "Globalen Kultur der Sicherheit im Cyberspace" gewichen; die US-Vertreter hatten bei der Konferenz die in Straßburg ausgearbeitete Cybercrime-Erkärung allerdings noch einmal lobend erwähnt. Im Entwurf zur Erklärung heißt es nun erst einmal: "Ein vielseitiger Ansatz ist nötig, um diesen Herausforderungen und dem Phänomen Cybercrime an allen Fronten zu begegnen, wobei der Schwerpunkt auf Prävention, nationalen Richtlinien und regionaler und internationaler Kooperation liegen sollte".
Fürs DNS-Root-Management schlägt man sybillinisch eine internationale Organisation oder internationale Regierungsorganisation vor. Mit Glacé-Handschuhen haben die Regierungsvertreter auch die Reizthemen Geistiges Eigentum, Patentierbarkeit von Software und Open Source angefasst. Zwar wird eine "pulsierende Public Domain" als Voraussetzung für die Wissensgesellschaft aufgefasst; auch der von US-Rechtsprofessor Lawrence Lessig in die Diskussion gebrachte Begriff der Balance zwischen Rechteverwertung und freiem Zugang wurde aufgegriffen. Allerdings sprechen die Delegierten dem Schutz von Urheberrechten eine "vitale Rolle bei der Innovation von Software, E-Commerce und damit zusammenhängendem Handel und Investment" zu. "Es besteht die Notwendigkeit, eine faire Balance zwischen dem Schutz des Geistigen Eigentums und den Interessen der Nutzer auf Information zu gewährleisten", wobei die bestehenden internationalen Verträge (TRIPS und WIPO) zu berücksichtigen seien. Open Source soll immerhin "gefördert" werden.
Fair Use
Dies ist eine der Stellen, in denen die Empfehlungen der Nicht-Regierungsorganisationen eklatant von der Position der Regierungen abweichen. Sowohl in ihrer auf der Basis des Regierungsentwurfs überarbeiteten Erklärung zur Informationsgesellschaft als auch im eigenen Aktionsplan stechen die Punkte "offener Zugang zu Informationen", "Open Software" und eine "stärkere Beteiligung von Frauen an Entscheidungen und Planungen für die Informationsgesellschaft" heraus. "Die Global Knowledge Commons und die Public Domain sind Eckpfeiler des globalen öffentlichen Interesses. Sie sollten geschützt, ausgeweitet und gefördert werden, insbesondere durch Open Source und kostenfreie Software", heißt es in einer Ergänzung des Regierungstextes. Die NGOs hätten die Regierungen nachdrücklich darauf hingewiesen, dass der Mensch im Mittelpunkt stehe, sagte WSIS-Präsident Samassékou.
In ihrem eigenen Aktionsplan machen die NGOs mit Blick auf die von ihnen gewünschte Balance von Informationsfreiheit und Schutz des Geistigen Eigentums eine lange Reihe von Vorschlägen zur Informationsfreiheit: Nichtkommerzielle Nutzung von Inhalten soll grundsätzlich als Fair Use gelten, Kompilierungen in Datenbank sollen so keinem Copyright unterfallen, Hyperlinking soll nicht behindert werden, wenn Quellen angegeben werden, Bibliotheken sollen auch digitale Werke unbehindert verleihen können. Peer-to-Peer- ebenso wie Open-Source-Software möchte man viel stärker fördern sowie Software grundsätzlich von der Patentierbarkeut ausschließen. Patente sollen an den ersten Erfinder und nicht dem ersten Patentanmelder vergeben werden. Besonders setzt man darauf, Autoren dafür zu gewinnen, ihre Werke auch auf eigenen Webseiten oder sogar über von der UN geförderte Open-Access-Zeitschriftenportale zu vertreiben. Mit Blick auf die Sicherheit mahnen die NGOs vor allem an, die Möglichkeiten von Überwachung zu beschränken; staatliche Datenbanken und Projekte für ID-Smartcards sollten mit großer Umsicht geprüft werden.
Trippelschritte
Der gesamte Aktionsplan der Nicht-Regierungsorganisationen wirkt schon um einiges konkreter als der Entwurf der Regierungen; Vorschläge betreffen beispielsweise auch Dinge wie Elektrizität oder IP-Exchange-Punkte für einen Kontinent wie Afrika, um kostspieliges Routing innerafrikanischen Verkehrs über die USA zu verhindern. Doch so ganz haben die Regierungen die Mitarbeit der Nichtkommerziellen -- die Unternehmen haben keine ähnlich ausführlichen Vorschläge vorgelegt -- noch nicht akzeptiert.
Am Freitag wurde von den Regierungen noch einmal ausführlich diskutiert, ob zusätzliche Empfehlungen in das Schlussdokument integriert werden oder aber in einen Annex kommen. "Zwei Schritte vor und einer zurück," beschreibt Wolfgang Kleinwächter, Völkerrechtler an der Uni Aarhus, den Prozess. Sollten die Regierungen den Beitrag der NGOs nicht angemessen berücksichtigen, dann erwägen die Vertreter der Nichtregierungsorganisationen laut Kleinwächter ihre eigenen Abschlusserklärung und auch ihren eigenen Weltgipfel der Informationsgesellschaft zu veranstalten.
Quelle: c't