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Donnerstag, 4.07.2024
eGovernment Forschung seit 2001 | eGovernment Research since 2001
Online-Scheidung ist möglich, ein Gewerbe via Internet anzumelden hingegen mühsam. Das Angebot der virtuellen Rathäuser leidet darunter, dass die kommunalen Pioniere nicht zusammenarbeiten Schon für einen ganz normalen Menschen ist der Umzug eine logistische Meisterleistung. Erst kündigen, nicht nur die Räume, sondern auch Telefon-, Strom, Gas- und Wasser; dann Lkw und Helfer organisieren, Post umleiten und die neue Adresse bekannt machen. Doch das ist erst die Kür. Und als wäre die nicht schon aufwändig genug, kommt noch die Pflicht dazu: Abmelden am bisherigen Ort, Anmelden am neuen, Ausweis ändern, neues Kennzeichen, Finanzamt wechseln, den Steuerberater am besten gleich mit.

Viele Tage gehen dabei drauf. Gar nicht auszudenken, welcher Aufwand einem Unternehmen entsteht, wenn es den Firmensitz verlegt. Dabei könnte man allen das Ämter-Hopping ersparen – und durch wenige Mausklicks ersetzen. Virtuelle Rathäuser heißt die Lösung. Und tatsächlich: In einigen Städten ist der elektronische Zugang längst möglich. Im großen Rest des Landes aber sind die neuen Angebote oft unausgereift.

An Initiativen mangelt es nicht. Fast jede Kommune in Deutschland ist bereits im Netz präsent. Auch die Bundesländer schufen dort Verwaltungsportale, und die Bundesregierung rief bereits 1998 das Projekt BundOnline2005 in Leben. Bis Ende kommenden Jahres will sie 450 Dienstleistungen verschiedener Behörden auf elektronischem Wege zugänglich machen. Bald könnten also Behördengänge so einfach werden wie das Shoppen im Netz. So die Vision.

Das Interesse daran ist groß: Schon jetzt hat etwa jeder zweite Internet-Nutzer hierzulande EGovernment-Angebote ausprobiert, besagt eine Studie der Europäischen Kommission. Allerdings gibt es noch nicht allzu viel abzuwickeln und das Wenige meist nur mit Mühen. Online-Amtsbesucher klagen darüber, dass sie in virtuellen Rathäusern nicht finden, was sie suchen. Und viele, das gilt für Bürger wie Unternehmen, wissen gar nicht, welche Verwaltungsdienste es online überhaupt schon gibt. So verbreitet sich das E–Government zwar unablässig, aber nur sehr langsam.

Das liegt hierzulande vor allem am föderalen System. So listet das zentrale Regierungsportal www.bund.de zwar alle Bundesbehörden auf, aber die meisten Dienstleistungen vom Ausweispapier bis zur Gewerbeanmeldung sind Sache der Länder und Kommunen. Manchmal klingt es, als bedauere Verwaltungswissenschaftler Klaus Lenk, Mitglied im Fachausschuss für Verwaltungsinformatik, das zutiefst: „Wenn wir ein Zentralstaat wären, hätten wir ein nationales Portal wie die meisten europäischen Länder. Da könnten sich die städtischen E-Government-Portale einklinken. Wir hätten dann ein einziges Zugangsfenster für alles, für Bürger, Selbstständige, Freiberufler und Großunternehmen.“ In Frankreich oder Österreich gibt es das, „aber in Deutschland denkt keiner drüber nach, hier hat jeder nur seine eigene Organisation im Blick“, sagt Lenk kopfschüttelnd.

Der zweite Grund, weswegen E-Government-Dienste noch nicht allzu ausgereift sind, ist der Stufenplan, mit dem die meisten online gehen wollen: Schritt für Schritt gehen sie ins Netz, anfangs nur mit Informationen wie Öffnungszeiten, mehr nicht. Erst allmählich stellen sie E-Mail-Foren oder Formulare ein. Und bis schließlich die Transaktions-stufe erreicht sein wird, bei der Anträge digital angenommen und im Amt elektronisch weiterbearbeitet werden, kann es dauern. Vielleicht noch fünf Jahre, vielleicht zehn, schätzt Lenk. Erst das ist dann die digitale Verwaltung, wie sie vielen vorschwebt: der „One-Stop-Ämtershop“.

www.berlin.de: Zehn Klicks und zwei Irrwege bis zum Ziel

Davon versprechen sich die Verantwortlichen große Effekte: Die Behörden von Bund und Ländern wollen mit E-Government effizienter und schneller arbeiten, sagten beide in Umfragen. Fallstudien in den USA etwa haben gezeigt, dass die Bearbeitung eines Online-Dokuments um 75 Prozent billiger war als der herkömmliche Dienstweg.

Aber auch Unternehmen würden erheblich profitieren. Wenn Verwaltungskontakte von Firmen dank digitaler Bearbeitung beschleunigt würden, heißt es in einer Studie der Bertelsmann Stiftung, sei das „Wirtschaftsförderung pur“.

Rund 15 Milliarden Euro geben deutsche Unternehmen pro Jahr für Verwaltungskontakte aus, hat die Unternehmensberatung Accenture hochgerechnet. Bei Unternehmen mit 2000 Mitarbeitern gehen etwa 365 Personaltage verloren, um Anträge und Daten bei Behörden einzureichen. Doch obwohl die Wirtschaft bester Kunde der Verwaltungen ist, planen die an den Wünschen der Unternehmen vorbei, ergab eine Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu): Zuerst kommen die Bürger, für die ist die Hälfte aller Online-Verwaltungsdienste gedacht; ein weiteres Drittel ist für die Verwaltung selbst bestimmt und soll die Arbeit zwischen Ämtern erleichtern. „Da kommen die Unternehmen viel zu kurz“, kritisiert Lenk.

Vor allem dem Baugewerbe, den Transporteuren und Speditionen, aber auch Rechtsanwälten oder Notaren wäre mit einer vollelektronischen Abwicklung von Anträgen oder Mahnbescheiden sehr geholfen. Doch selbst bei den Bürgerdiensten ist die Auswahl solcher Dienste noch minimal. Eine Stichprobe: Die Ummeldung von Berlin nach München per Internet, geht das?

Die erste Anlaufstelle ist www.berlin.de, dann den Link zum Bürgerservice klicken, weiter zum Verwaltungsführer – 18 Themenportale, Stichwortsuche von A–Z. Und jetzt? A wie Abmeldung oder U wie Umzug? Fehlanzeige. Stattdessen Arbeit und Beruf, Umwelt und Natur. Zurück zum Bürgerservice und den Link Interaktive Dienstleistungen probieren: Transaktion – Vorgänge online auslösen und erledigen. Klingt gut. Geklickt. Nächste Auswahlliste: Ausschreibungen online, KFZ-Wunschkennzeichen, sogar Melderegisterauskünfte per E-Mail sind möglich – das Ummelden nicht. Wieder zurück zum Bürgerservice. Diesmal geht’s über Formulare weiter zu Bauen und Wohnen, dort kann man die Befreiung von Schnee- und Glättebekämpfung beantragen oder auf Einwohnerwesen klicken, und da steht unter A, man glaubt es kaum: Abmeldung bei der Meldebehörde – als Formular zum Runterladen.

Nach zehn Klicks und zwei Irrwegen endlich am Ziel. Allerdings mit einem Manko. Denn das Formular, das eigentlich interaktiv sein soll, kann zwar am Bildschirm ausgefüllt, muss danach aber ausgedruckt, unterschrieben und per Post ans Amt geschickt werden. Denn, so die Berliner Behörden, „ist es zur Zeit aus rechtlichen Gründen noch nicht zulässig, das Formular elektronisch zurückzusenden“. Im Münchner virtuellen Rathaus ist es nicht anders. „Ohne Medienbruch funktioniert kaum ein E-Government-Portal“, regt sich Elisabeth Slapio, Geschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer (IHK) Köln, auf.

Alles wie gehabt, trotz digitaler Anstrengungen? Nein, widerspricht Slapio: „Die digitale Verwaltung ist Hoffnungsträger, besonders für Mittelständler. Aber wenn Sie nach der aktuellen Situation fragen: Es ist noch schlimmer geworden.“ Die IHK Köln hat von ihren Mitgliedern erfahren, dass kleine und mittlere Unternehmen noch länger für das Bearbeiten von Formularen brauchen, wenn sie die über das Internet abrufen.

Anders ist es, wenn die Firma ihren Sitz in Hamburg hat. Das Portal der Hansestadt gilt bundesweit als Vorreiter unter den elektronischen Rathäusern. Im HamburgService ist fast die komplette Verwaltung online, von der Bau- bis zur Wissenschaftsbehörde, und alle Dienstleistungen laufen über die zentrale Eingangsseite. Sogar die Justiz bearbeitet Mahn- und Insolvenzanträge digital und füttert eine Urteilsdatenbank. So umfassend betreibt das sonst kein Land. Sicher ist es für einen Stadtstaat einfacher, Behördenkräfte zu bündeln, als für große Flächenländer. Aber das schmälert nicht die Leistung der Hamburger Online-Initiative.

Es gibt noch mehr solcher „Pionierleistungen auf kommunaler Ebene“, sagt Verwaltungswissenschaftler Lenk. Auch das Komm-in in Sternenfels bei Pforzheim ist so eine: Bürgerzentrum, Rathaus, Bank, Post, Krankenkasse, sogar Arbeitsamt und Polizei, alles in einem. Mitunter treibt das E-Government auch kuriosere Blüten: In Olpe gibt es beispielsweise schon die Online-Scheidung.

Trotz aller Anstrengungen aber steht Deutschland im E-Government-Vergleich mit anderen Ländern derzeit noch recht schlecht da. Obwohl das Innenministerium gern betont, BundOnline2005 sei international vorbildlich – und dabei auf Ergebnisse vom Frühling 2002 verweist –, ist Deutschland seither nur im hinteren Mittelfeld gelistet. Im Januar 2004 landete es in der E-Government-Studie von Cap Gemini Ernst & Young für die Europäische Kommission sogar auf Platz 17 von 18 europäischen Ländern. Noch weniger Online-Services hatte nur Luxemburg zu bieten.

Nationale E-Government-Erfolge lassen sich allerdings schlecht vergleichen. Was in Frankreich funktioniert, etwa dass die Lohnsteuer übers Internet abgerechnet und per Online-Banking ans Finanzministerium überwiesen wird, ist in Deutschland nicht machbar, solange hierzulande allein 17 Bundesländer wie Fürstentümer eigene Formular-Standards und Online-Auftritte pflegen. Doch dass Deutschland gerade bei Diensten wie der Online-Gewerbeanmeldung Europas Schlusslicht ist, klingt bedenklich. Denn Gewerbeanmeldungen und Gewerbesteuer sind jene Dienste, die sich Firmen vorrangig online wünschen. „Die Bundesländer müssten sich viel stärker engagieren und regionale Zugangsportale für die Wirtschaft schaffen“, fordert Lenk. Doch daran hapert es noch.

Wie so oft sind die Kosten ein Grund dafür. Der Bund macht für sein Online-Projekt bis 2005 rund 1,65 Milliarden Euro locker. Das ist nichts gegen die Ausgaben der Kommunen. Sie investieren laut Difu allein für die technische Ausrüstung 11,4 Milliarden Euro. Hinzu kommen die Kosten für Aufbau und Pflege der E-Government-Portale. Außerdem klagen die Kommunen über unqualifiziertes Personal und fehlendes Know-how. Zudem mehren sich die Klagen über große Widerstände innerhalb der Behörden. Mitarbeiter und Führungspersonal unterstützen die Projekte oft nicht. Das mag auch daran liegen, dass mit der Digitalisierung der Abläufe nicht selten Organisationsdefizite zutage treten. Die müssten erst einmal behoben werden.

„Vergabezeit für Bauanträge um zwei Drittel gesunken“

Auch in Deutschland könnten zentrale Datenbanken angelegt werden, etwa für Melderegister oder die Kraftfahrzeug-Zulassung, eine Art „Flensburg für alle Autofragen“ wäre in fünf Jahren denkbar. Wolfgang Beinhauer vom Fraunhofer E-Government-Zentrum ist einer, der an solche Visionen glaubt: „Wir arbeiten daran, die technischen Standards der Länder und Kommunen auf einen Nenner zu bringen“, sagt er. Dann könnten sich Ämter die Formulare einfach zuschicken.

Im virtuellen Bauamt von Esslingen ist das schon gelungen. Das Media@Komm-Projekt gilt inzwischen als „Leuchtturm des E-Government“, wie Wolfgang Beinhauer es nennt. „Die Zeit für die Vergabe von Bauanträgen sei um zwei Drittel gesunken, seit Anträge online eingereicht und bearbeitet werden.“ Nun soll das Modell auf 25 weitere Kommunen übertragen werden.

Aber Media@Komm versucht, noch eine viel größere Hürde des E-Government zu nehmen: die digitale Signatur. Per Gesetz ist die elektronische Unterschrift für amtliche Transaktionen vorgeschrieben. Sie basiert auf einem System aus Chipkarten und Lesegeräten – aber eine solche Ausstattung besitzt kaum jemand. Sie hat sich noch nicht durchgesetzt.

Immerhin könnte die digitale Signatur helfen, Sicherheitsbedenken zu minimieren. Die halten nämlich noch etwa ein Viertel der Unternehmen davon ab, E-Government-Angebote anzunehmen. Jeder vierte Bürger wird ohnehin nicht für digitale Dienste zu begeistern sein, weil er Computer und Internet gar nicht nutzt, schätzen E-Government-Entwickler. Die Online-Projekte lohnen sich aber nur, wenn ein Großteil der Bevölkerung mitmacht. Denn nur dann könnte die Zahl real existierender Ämter verringert werden.

Quelle: Die Zeit, 27.05.2004

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